Von Dirk Becker: Galgenvögel, wollt ihr ewig leben?
Die Tiger Lillies sind im Rahmen ihrer 20 Jahre Jubiläumstour in der „fabrik“ zu erleben
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Da ist die Sache mit den Schafen, die natürlich Nachfragen provoziert. Doch Martyn Jacques will dazu nicht viel sagen. Nur so viel, dass es Probleme geben könnte, wenn er sich eingehender zu dem Verhältnis seiner Band Tiger Lillies zu Schafen äußern würde. Er rechnet gar mit einer Verhaftung, direkt hier vom Tisch im Café der „fabrik“ weg. Ein heikles Thema, diese Tierliebe. Auch Adrian Huge und Adrian Stout senken ihre Stimmen. Aber sie singen doch darüber und das ganz eindeutig: „Lord, I am a Sinner / I had sex with sheep“?
Ja, gibt sich Martyn Jacques jetzt ganz offen, das sei ja auch etwas anderes. Denn wenn sie darüber singen, würden die Leute glauben, das alles sei nur ein Scherz. Er bleibt ganz ernst, während er das sagt. Auch Adrian Stout schaut so beherrscht, als würde er einem jeden Moment sein Beileid für einen verstorbenen Verwandten aussprechen wollen. Nur Adrian Huge hat dieses Grinsen im Gesicht, das diebische Freude ausdrückt. Fast scheint es, als würde er sich sogar die Hände unter dem Tisch reiben, so viel Vergnügen bereitet es ihm, dass hier vier Männer gemeinsam an einem Tisch sitzen und mit würdevoller Miene und gespielter Ernsthaftigkeit über ein Lied reden, in dem Sex mit Schafen thematisiert wird.
Willkommen in der Welt der Tiger Lillies!
Es ist eine Welt des Abseitigen und Makaberen, des Abartigen und Grotesken, die die drei Musiker aus London am heutigen Samstag bei ihrem Konzert im Rahmen ihrer 20 Jahre Jubiläumstour in der „fabrik“ präsentieren. „Brechtian Postmordern Vaudeville Punk Cabaret and beyond“ wurde es schon genannt, wenn die Tiger Lillies auf die Bühne kommen und einen mitnehmen in die Welt der dunklen und schmutzigen Gassen, wo Mord und Totschlag, Prostitution und Niedertracht, Verlierer und Galgenvögel regieren. So viel wird schnell klar, auf der Sonnenseite der Straße sind Adrian Huge, Martyn Jacques und Adrian Stout mit ihren Liedern nicht unterwegs.
„The world’s foremost Death Oompah band“ ist auf der Internetseite der Tiger Lillies zu lesen. Darunter ein Bild der drei Musiker mit den typisch weiß bemalten Gesichtern, das nur bei Martyn Jacques mittels Schwarz und Rot verfeinert wurde. Dazu baumelt ihm noch ein fetter Galgenstrick um den Hals, fertig ist die „Freakshow“, wie eines der zahlreichen Bühnenprogramme und das letzte Album der Tiger Lillies betitelt ist. Aber was muss man sich bloß unter „The world’s foremost Death Oompah band“ vorstellen?
Martyn Jacques schaut jetzt mit der strafenden Ernsthaftigkeit eines Wanderpredigers, wie sie die düsteren Romane von Cormac McCarthy oder William Faulkner bevölkern und in denen die Tiger Lillies scheinbar die grausamen Geschichten ihrer zahlreichen Moritaten gesammelt haben. Nur ein paar Fantasieworte, mit denen die Musiker das, was ihre Band ausmacht, beschreiben wollen, so Martyn Jacques. „Das, was sich nicht erklären lässt, in Worte fassen, die keinen Sinn ergeben“, sagt Adrian Stout ernst. Nur Adrian Huge zeigt ein diebisches Lächeln.
Diese gespielte Ernsthaftigkeit mag auf den ersten Blick arrogant wirken. Doch wer mit den drei Musikern am Tisch sitzt und ihre Gespräche verfolgt, die immer wieder mal in diese Stadt oder zu dem Musiker abdriften, fühlt sich einfach wohl in dieser Runde. Und so geht es einem auch, wenn die drei auf die Bühne treten, Martyn Jacques sein Akkordeon bearbeitet und seine so gekünstelt hohe Stimme erklingen lässt, um von „Three-legged Jake“, „Deathless man“ oder „Killed My Mother“ zu erzählen. Dazu Adrian Huge auf dem Schlagzeug oder um die Handlung nachvollziehbarer zu machen, in der Rolle des Handpuppenspielers. Adrian Stout mit ernster Miene am Kontrabass oder auf der singenden Säge. Brecht und Weill lassen grüßen, wenn die Tiger Lillies ihre musikalische Pandorabüchse öffnen. Und je blutrünstiger und apokalyptischer es zur Sache geht, umso mehr strahlen diese Musiker.
Wen interessiert schon, ob jemand glücklich ist oder sich über sein neues Auto freut, fragt Adrian Huge. „Menschen mögen es, zuzusehen, wenn andere leiden.“ Das ist im Grunde auch das Motto für die Lieder der Tiger Lillies. Was nun nicht bedeutet, dass die Welt deshalb ein schlechter Ort ist. Nur sind die Geschichten von der Schattenseite die besseren und schwarzer Humor sowieso der schönste.
Die Tiger Lillies lieben es, vor deutschem Publikum zu spielen. „In unserer Heimat England verstehen die jedes Wort und signalisieren einem sofort, dass man das so nicht sagen darf“, sagt Adrian Huge mit breitem Grinsen. Hier überlege der Zuhörer oft, ob das, was er da gerade aus dem Munde von Sänger Martyn Jacques vernommen hat, wirklich so gemeint war. Unter solchen Umständen lässt es sich dann auch viel freizügiger über die innige Liebe zu Schafen singen.
Tiger Lillies spielen am heutigen Samstag, 20.30 Uhr, in der „fabrik“, Schiffbauergasse. Eintritt 21, ermäßigt 16/13 Euro
Dirk Becker
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