Kultur: Gangsterjagd im Hochhaus
Der Schauspieler André M. Hennicke liest heute im Thalia aus seinem Romandebüt „Der Zugriff“
Stand:
Herr Hennicke, sind Sie ein Internet-Junky?
Nein, ich war schon seit anderthalb Wochen nicht mehr im Netz. Ich habe gedreht und da schleppe ich nie meinen Laptop mit. Und im Hotel gab es keinen Internetzugang. Aber auch ansonsten bin ich kein guter Berater im Online-Banking.
In Ihrem Romanerstling „Der Zugriff“ geht es um einen professionellen Hacker, dessen Angriffsziele internationale Banken sind. Sie füttern die Leser mit Details, die schon auf Insiderwissen schließen lassen.
Ich habe vier Jahre an dem Buch gearbeitet und natürlich gründlich recherchiert, auch reale Fälle mit eingebaut. Es ging mir um das Sujet: um eine Gangsterjagd, die nicht die übliche Ermittlertätigkeit beschreibt. Wir begeben uns in die virtuelle Welt. Die Cyber-Cops sind nur auf Spuren im Internet angewiesen, das hat mich fasziniert und ich wollte auch den Lesern neue Horizonte eröffnen. Außerdem finde ich Bankhacker ziemlich smart. Für mich sind sie keine echten Verbrecher. Sie versuchen, Lücken im System zu begreifen und für sich auszunutzen. Dabei wird niemandem so richtig weh getan. Die Banken sind versichert.
Ihre Cyber-Schlange Mr. Hyde findet in der Anonymität einer Hochhaussiedlung in Berlin-Hellersdorf Unterschlupf. Ihr Buch erzählt nicht nur über die emotionale Leere dieses hochintellektuellen Kriminellen, sondern auch über die verlorenen Träume sehr einfacher Menschen, gestapelt im Zellentrakt des Betonsilos. Wie genau kennen Sie das Leben dort?
Ich gucke aus meinem Fenster in Biesdorf und sehe diese Silos. Häufig bin ich auch drüben, um die Menschen zu beobachten und ich finde sie nicht unsympathisch. Meine Freunde finde ich weniger in der wechselhaften Filmbranche, als im normalen Leben, an dem ich ziemlich nah dran bin. So spiegelt die Geschichte auch einen Teil meines eigenes Lebens wider. Ich bin in einem Land groß geworden, das es nicht mehr gibt. Aber die Erlebnisse sind noch in mir drin. Bevor ich zum Film kam, arbeitete ich als Maurer, Brückenbauer und Heizer.
Und wie kamen Sie zum Film?
Eigentlich wollte ich Malerei studieren, hatte aber eine starke Rot-Grün-Sehschwäche. Dann las ich eine Annonce der Filmhochschule Babelsberg und bewarb mich zum Studium: Ich wollte ein anderes Leben führen, nicht mehr jeden Tag dasselbe machen und auch nicht mehr so viel saufen. Ich hatte mich heimlich beworben und meiner Brigade nichts davon gesagt. Hätte es nicht geklappt, wäre ich als „Der Schauspieler“ abgestempelt gewesen. So musste ich den Spitznamen nur ein halbes Jahr hinnehmen, bis ich an die Hochschule ging.
Wie sind Ihre Erinnerungen an Potsdam?
Ich hatte dort eine tolle Zeit. Ich komme aus Johanngeorgenstadt im Erzgebirge. Potsdam war wie meine zweite Geburt, eine intellektuelle Herausforderung. Ich war der beste Student meiner Klasse und sollte Leistungsstipendium bekommen. Doch dafür sollte ich Reserveoffizier werden. Das lehnte ich ab, denn ich wollte niemandem befehlen, zu schießen. Also stellte ich einen Exmatrikulationsantrag. Das war dann auch nicht im Sinne der HFF, dass sich der Beste exen lässt. Man erließ mir das Offiziersleben, aber mein Leistungsstipendium war damit auch futsch. Davon abgesehen erinnere mich gern an die Zeit, vor allem, wie ich mit meiner damaligen Freundin viel Zeit im Babelsberger Park verbracht habe.
Das Thema Liebe spielt in Ihrem Krimi auch eine große Rolle. Mr. Hyde trifft am Briefkasten im Hochhaus auf die verheiratete Rosa.
Man kann überall, an jedem Ort, der Liebe begegnen. Das Leben in diesem Neubaublock ist für mich wie ein Raumschiff, ein sozialer Brennpunkt. Ich wollte die Energien beschreiben, warum die Leute etwas tun oder lassen, warum zum Beispiel der Hausmeister zum Vergewaltiger wird oder die introvertierte Rosa zu einer starken Frau, die sich gegen Widerstände im Haus zur Wehr setzt. Das Thema des Romans ist die ewige Sehnsucht nach Liebe und Glück.
Ohne Happyend.
Ja, im Buch kann ich mir das erlauben. Der Film, den ich mit meiner Produktionsfirma aus diesem Stoff drehen werde, wird anders enden. Doch in jedem Fall geht es um die Liebe. Erst wenn sie kommt, weiß man, dass sie nicht von Dauer ist. Viele große Künstler sind einsam gestorben. Das ist wahrscheinlich ihre große Kraft, Defizite zu empfinden und diese beschreiben zu können. Glückliche Menschen sind dazu nicht so in der Lage.
Sind Sie glücklich?
Seit einem dreiviertel Jahr mal wieder. Ich gehe immer so ran, als hätte ich die große Liebe gefunden. Inzwischen ist es keine Enttäuschung mehr, dass sie sich nicht halten lässt, eher ein Begreifen. Doch aus meinen Lieben wurden immer Freundschaften. Zu meiner Buchpremiere in Berlin waren drei meiner verflossenen Lieben da, ohne dass ich sie speziell eingeladen hätte.
Trennungen ohne Rosenkrieg?
Ich glaube, Leute, die gebildet sind, schießen sich nicht von hinten in den Rücken.
Sie kommen gerade vom Drehen zurück und machen sich nun wieder auf Tour. Das klingt sehr anstrengend.
Nach 33 Drehtagen für den Kinofilm „Die Vermissten“, in dem ich ein Kernkraftingenieur auf der Suche nach seiner Tochter spiele, bin ich schon ziemlich geschlaucht. Die zwei Monate Lesetour, die nun vor mir liegen, sehe ich eher als Entspannung. Da bin ich der Comedian, der aus dem Stegreif etwas erzählen kann. Ich sehe mich als Unterhaltungsautor, der nicht unbedingt auf elitäre Leser abzielt. Zu meinen Lesungen kommen Leute, die kein hohes Aggressionspotential haben. Sie nehmen im grauen November den Weg auf sich, sind also interessiert. Das ist die halbe Miete.
Das Gespräch führte Heidi Jäger
André M. Hennicke stellt sein Buch „Der Zugriff“, erschienen im Gollenstein Verlag, 14,90 Euro, heute um 19 Uhr im Thalia vor. Der Eintritt kostet 5 Euro
André M. Hennicke, geboren 1958 in Johanngeorgenstadt, ist Filmschauspieler, Regisseur und Produzent sowie Drehbuchautor. Vor der Kamera stand er u.a. für „Tatort“, „Alarm für Cobra 11“.
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