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Kultur: Ganz der Melodie verpflichtet
Jürgen Stephan und die Lust an der Musik von Sidney Bechet – Am Sonntag ist er im Nikolaisaal zu erleben
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Alles fing mit einem Irrtum an. Ein Irrtum, der für Jürgen Stephan zu einer lebenslangen Leidenschaft werden sollte.
Jürgen Stephan nennt sich selbst ein typisches Nachkriegskind, das nach 1945 all das in sich aufsog, was neu und anders war. Darunter auch den Jazz, den er mit seinen Freunden regelmäßig über den Soldatensender American Forces Network hörte. „Der Jazz, das war damals unsere Popmusik“, sagt Jürgen Stephan. Es blieb aber nicht nur bei dieser Radioleidenschaft. Platten wurden gekauft, untereinander getauscht oder gemeinsam bei Freunden gehört. Und an einem dieser Nachmittage, Jürgen Stephan war 15 Jahre alt, hörte er auf einer dieser Platten den „September Song“ von Kurt Weill. „Am Anfang diese romantische Melodie, die dann für einen Moment fulminant Fahrt aufnimmt“, erinnert sich Stephan. Am nächsten Tag besorgte er sich eine Klarinette. Denn er wollte genauso spielen wie die Musiker auf der Platte.
„Es hat ein wenig Zeit gebraucht, bis ich erkannte, dass die Melodie damals nicht von einer Klarinette, sondern von einem Sopransaxophon gespielt wurde“, sagt Jürgen Stephan. Da aber war es schon egal, denn Stephan hatte längst den Großmeister Sidney Bechet entdeckt, der für sein Spiel auf der Klarinette bekannt wurde.
An diesem Sonntag ist Jürgen Stephan mit der Sidney’s Blues Jazzband im Nikolaisaal zu erleben. Mit dabei sind die Rod Mason’s Hot Five, die sich der Musik von Louis Armstrong verpflichtet haben. Neben Louis Armstrong und dem Pianisten Jelly Roll Morton gilt Sidney Bechet als einer der wichtigsten Solisten des frühen New Orleans Jazz. Autodidaktisch hat er sich das Spiel der Klarinette angeeignet und sich nach turbulenten Jahren in Europa und Erfolgen in den USA 1949 in seiner Wahlheimat Frankreich niedergelassen, wo er für sein sehr melodiöses Spiel fast schon vergöttert wurde.
Es ist vor allem das Melodische im Spiel von Bechet, das Jürgen Stephan bis heute begeistert. „Selbst in der Improvisation, in den Wiederholungen hat Bechet immer neue Melodien entwickelt, aus denen man fast schon wieder eigene Lieder machen könnte“, so Stephan. Kein ausgelassenes Toben durch Skalen, das weniger auf Melodie, sondern auf freies Improvisieren ausgelegt ist, wie im modernen Jazz. Hier ist einer immer im Lied, der Melodie. Hier nimmt der Musiker seine Zuhörer mit, ohne sie zu sehr zu verwirren. „Sein Spiel begeistert schon an der Oberfläche“, sagt Stephan. Und meint damit, dass auch das am Jazz ungeschulte Ohr sich der Eingängigkeit dieser Melodien nur schwer entziehen kann. Taucht man dann noch tiefer in die Musik, die Kompositionen von Bechet ein, kann diese Auseinandersetzung zu einer leidenschaftlichen Lebensaufgabe werden.
Für den mittlerweile 75-jährigen Jürgen Stephan ist die Auseinandersetzung mit dem Spiel von Bechet heute noch immer Herausforderung, in keinem Moment nur Routine. Nach all den Jahren, die er sich nun schon mit dieser Musik beschäftigt, gilt noch immer sein Grundsatz: entweder ganz oder gar nicht.
Sidney Bechet ließ seine Klarinette klingen wie eine Stimme. „Sein Spiel, das war einfach beseelt“, sagt Stephan. Bechet spielte mit einem starken Vibrato, was manche schon zu Lebzeiten an ihm kritisierten. Für Jürgen Stephan zeigt sich in diesem starken Vibrato jedoch Bechets Begeisterung für den Tenor Enrico Caruso. Zu vergessen, dass da eine Klarinette spielt und der Zuhörer nur die Musik wahrnimmt, darin bestand die große Kunst von Sidney Bechet. Das weiterzutragen ist für Jürgen Stephan und seine Sidney’s Blues Jazzband, mit der er seit 1985 in der gleichen Besetzung spielt, der große Anspruch. Dass er dabei nicht bestrebt ist, wie das Original zu klingen, sondern auch seine persönliche Note ins Spiel einfließen lässt, ist für Stephan eine Selbstverständlichkeit, über die er nicht weiter viele Worte verlieren wird. Und für den, der glaubt, in Sachen Sidney Bechet könne ihn nichts mehr überraschen, für den wird die Sidney’s Blues Jazzband etwas Besonderes im Gepäck haben. „Wir werden in Potsdam eine Komposition von Bechet spielen, die bisher im Schreibtisch seines Sohnes Daniel lag.“ Jürgen Stephan hat ihn überreden können, ihm diese zu geben. „Sweet Louisiana“, so der Titel, der in Potsdam zum ersten Mal zu hören sein dürfte. Dirk Becker
„The Music of Louis Armstrong & Sidney Bechet“ mit Rod Mason’s Hot Five und der Sidney's Blues Jazzband am Sonntag, dem 30. Dezember, um 18 Uhr im Nikolaisaal in der Wilhelm-Staab-Straße 10/11. Karten zum Preis von 25,80 bis 38,10 Euro in der Ticket-Galerie des Nikolaisaals oder unter Tel.: (0331) 28 888 28
Dirk Becker
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