Kultur: Ganz exemplarisch
Das Hans Otto Theater in Klassenzimmern: „Klamms Krieg“ von Kai Hensel
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Das Hans Otto Theater in Klassenzimmern: „Klamms Krieg“ von Kai Hensel Von Gerold Paul Alle Konflikte entstehen auf dieselbe Art: Einer wirft den Handschuh hin, der nächste hebt ihn auf. Dieses Muster gilt überall, in Politik und Medien, beim Theater und an der Schule. Klar, wer den „Handschuh des Bösen“ annimmt, hat auch die Malaise – beneidenswert, der frei davon. Der Berliner Autor Kai Hensel jedenfalls strickte mit „Klamms Krieg“ (Uraufführung 2000, Dresden) einen solchen, das Hans Otto Theater nahm ihn dankbar entgegen und gibt ihn nun in absichtsvoller Weise an die hiesigen Bildungs-Anstalten weiter. Nach der erfolgreichen Premiere am Mittwochabend in der Voltaire-Schule wandert Roland Bertschis kompakte Inszenierung durch viele Klassenzimmer Potsdams, ohne eine „echte" Theaterbühne je zu sehen. Provokant und fehdenschwer ist der Beitrag des 1965 geborenen Werbetexters und Weltenbummlers zur zeitgenössischen Pädagogik in der Tat. Er möchte, dass man per Theater über Thesen wie „Schule ist Zwang“ und „Lehrer sind Mörder“ mit Schülern ab 16 in ein Gespräch kommen. Warum nicht? Die Bildungsanstalt als Tatort: Dem Gymnasiasten Sascha fehlt ein einziger Punkt, um zum Abitur zugelassen zu werden. Kein Bitten hilft, Deutschlehrer Klamm kann und will ihn nicht geben. Folglich, und an dieser Formulierung liegt alles, erhängt sich der Junge. Eine andere als die „betroffene" Klasse verweigert ihm nun in Hensels Konstrukt den Gehorsam, er soll am Tode des Pennälers schuldig sein. An der Tafel steht, orthographisch nicht zwingend genau, aber als hübsches Detail: „Herr Klamm, wir erklären ihnen den Krieg“. Das kann man nun Erpressung oder Dummheit nennen, im Kontext der mehr als eine Unterrichtsstunde währenden Aufführung ist es wie Realität, denn nachdem der Ärmste wie gegen eine Wand redet, lockt und schmeichelt, droht und poltert, ist sein in 30 Dienstjahren geschultes Pädagogenlatein am Ende. Peng und Schluss. Vorher erfährt die imaginäre Klasse der Schweigsamkeit, zugleich das Publikum dieser Bühne, die unwiderruflich letzten Schul-Wahrheiten: Wie das Lehrerkollegium über die Schüler spricht, wer mit wem pussiert, was den gestandenen Pädagogen Berufsethos wirklich bedeute. Roland Funke spielt diesen hochdramatischen Psycho-Striptease mit größtem Einsatz und gelbem Jackett (Ausstattung Marianne Hollenstein) recht glaubhaft, jedenfalls so, wie sich die Regie das vorgestellt hat. Menschliche Anfälligkeiten bis zum Exzess. Jugendlichem Publikum wird ein so mitteilsamer Lehrer gewiss sehr entgegenkommen, denn Klamm erkennt sich letztlich als Feind und „Mörder“ seiner Schüler (Plural!) Er nahm den Fehdehandschuh auf, und verlor. Die humanistische Pädagogik ist für Hensel am Ende: „Alle rauskommen! Ich erkläre den Krieg für eröffnet!“ Welcher denn noch, nach diesem Desaster? Die Inszenierung funktioniert zweifellos, trotz ihres Schwankens zwischen Schulstunde und Bühne. Was man dem Autor glaubt, kommt pur herüber, ohne Untertext und Distanz, ohne trickreiches Spiel im mutmaßlichen Krieg der Worte, kein Zögern, wenn Klamm einen Pfeil abschießt, kaum Lauschen auf den Effekt. Funkes Spiel „gegen die Wand" ist längst nicht ausgereizt, nicht in der Schnapsszene, erst recht nicht, wenn er „seine Waffen“ offenlegt: peinliche Unterlagen über jeden Lehrer und Schüler, seit 30 Jahren. Alles bleibt, wie es ist, sein Bekenntnis zur Pädagogik und sein Hass gegen die „pickeligen Gesichter“ seiner Eleven. Gut und schön, aber es soll schon Klassen gegeben haben, die ihre Lehrer zum Wahnsinn trieben. Die Balance der Dramaturgie verlassend, macht Hensel seinen Protagonisten zum Schuldner, Pistole an die Stirn, und ab – Sascha war ja bei ihm, er hat den Bettelnden abgewiesen. Bertschi aber gibt Klamms Fall ganz exemplarisch. Aus solchem Stoff sind nun auch die theaterpädagogischen Diskussionen, deren erste sich unmittelbar an die Vorstellung anschloss. Alt der Spruch, Schule sei Zwang, neu aber „Lehrer sind Mörder“, doch muss man ja Hensel nicht glauben. Nennt er die Schule „Kriegsschauplatz“, dann ist sie es auch, oder wird es. Wer nähme diesen Handschuh nicht freiwillig auf? Ihn liegen zu lassen, setzte eine ganz andere Pädagogik voraus. Auch darüber könnte man, notgedrungen, einmal reden.
Gerold Paul
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