Kultur: Ganz nah
Cornelia Schleime mit „Weit fort“ in Villa Quandt
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In dem schwedischen Dokumentarfilm „Verrat“ von Frederik v. Krusensterna aus dem Jahr 1995 kommt es zum Showdown zwischen Opfer und Täter. Die Malerin Cornelia Schleime schiebt sich ins Bild und vor den Kaffeetisch von Sascha Anderson, ihrem einstigen Freund und Vertrauten, und stellt ihn zur Rede, ob er es war, der sie an die Stasi verraten hat. Immerhin hatte sie ihm ihren Wohnungsschlüssel anvertraut und hernach verschwanden all ihre Bilder, die sie bis dahin gemalt hatte – bis heute.
Die Maske fällt und der Liebling der ostdeutschen Kunstavantgarde bekennt sich zu seiner Doppelexistenz. Es war die Zeit der klaren Worte, als Wolf Biermann während einer hochoffiziellen Rede auch mal vom „Sascha Arschloch“ sprach. Jahre, Lichtjahre sind inzwischen vergangen und nun kümmern sich rührige Ehrenräte verständnisvoll um die belastete Klientel und ein politischer Wind weht von links, der diesen ureigenen ostdeutschen Schmutz in den Westen bläst mit der Parole: ja, BND und Verfassungsschutz und Stasi seien doch alle gleich, und schuldig sind sowieso immer die anderen, im Zweifelsfall der Westen, in jedem Fall aber die Birtler-Behörde.
Ohne biografische Kenntnis der Autorin und Malerin Cornelia Schleime und vielleicht auch dieses Films ist also der kurze Roman über einen Liebesverrat aus politischen Gründen nicht zu verstehen. Daher gibt sich die Autorin auch keine große Mühe, hinter den Protagonisten – eine Frau lernt im Internet einen Mann namens Ludwig kennen und lieben, der dann spurlos verschwindet – die eigene Lebensgeschichte und Freundschaft mit dem Dichter und Stasi-Mitarbeiter Sascha Anderson zu verbergen.
Die Erzählerin zwingt sich in einen Erinnerungsstrom hinein, der sie physisch und psychisch an ihre Grenzen führt, sie „wütet solange, bis die ganze Wahnkonstruktion zusammenbricht“. Es ist ein beeindruckendes Prosadebüt der Malerin, vor allem in jenen Momenten, wo die drängende Vergangenheit Chiffren in der Gegenwart findet. So steht die Erzählerin im Prado vor Velázquez?s Bild der „Königin Isabel auf einem Pferderücken“ und endeckt darin, dass der Maler mehrere Anläufe nahm, um die richtige Position der Vorderläufe des Pferdes zu finden: „Fast flüsternd meldete sich die Urfassung zu Wort. Die Zeit heilt Wunden, +wege eines Anfangs“. Wie sich die Bilder der Vergangenheit überlappen und es kein Entrinnen gibt, zeigt Schleime in ihrem ersten und vielleicht auch letzten Roman. Wer mehr lesen möchte, schaue sich eben ihre Bilder an. kip
Cornelia Schleime liest heute um 18 Uhr in der Villa Quandt, Potsdam, Große Weinmeisterstraße 46/47.
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