Kultur: Ganz nett
„Tiere streicheln Menschen“ im Waschhaus
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Manchmal streicheln Tiere Menschen oder Schlumpfpapas freuen sich über kindsgroße Käthe-Kruse-Puppen. Martin „Gotti“ Gottschilds Fantasie kennt da keine Grenzen und so fallen die Bildunterschriften zu der eigens von ihm zusammengestellten Flohmarktbilder -Diashow entsprechend schräg aus.
Der 33-jährige Berliner ist auch sonst ein kreativer Kopf. Seine musikalische Karriere begann bereits mit 18 Jahren und seitdem konnte man ihn in Bands wie Sofaplanet oder Beatplanet in Aktion sehen. Aktuell ist er als Sänger und Gitarrist bei den Stahlharten Bäuchen aktiv. Seit 2009 tingelt er außerdem, zusammen mit Bandkollegen Sven Radtke, besser bekannt als Sven van Thom, auch mit seiner Show „Tiere streicheln Menschen“ durch die deutschen Clubs und war bereits zu Gast im Quatsch Comedy Club. Während ihrer gut eineinhalbstündigen Performance, die am vergangenen Donnerstagabend im Potsdamer Waschhaus zu sehen war, mixen die beiden fetzige Lieder mit Dias und Kurzgeschichten. Das Ganze wird als aufsehenerregende „Action-Lesung“ angekündigt und weckt irgendwie die Erwartung von Neuem, Spektakulärem, nie da Gewesenem.
Und entpuppt sich dann doch nur als aufgepeppte Lesebühne im immer gleichen Lesebühnenlesestil, der gekennzeichnet ist von in Berliner Mundart und möglichst teilnahmslos vorgetragenen autobiografischen Notizen, alltäglichen Beobachtungen und melancholischen Betrachtungen.
So liest Gotti aus seinem gerade erschienenen Bändchen „Der Schatz im Silberblick“, lässt die Tage des Mauerfalls noch einmal aufleben und spult in kürzester Zeit sämtliche Klischees vom asbestverseuchten Haus über den Grenzsoldaten bis zur Dederonbluse herunter. Oder erzählt aus den Tagen nach der Wende, in denen Timurhilfe auf erste TAG’s und Straßenbanden trifft.
Wirklich komisch dann tatsächlich sein persönlicher Beitrag zum Klimagipfel. Gotti outet sich als Stoßlüftexperte und rekonstruiert die Geschichte des Stoßlüftens, das seinen Recherchen zufolge seinen Ursprung im afroamerikanischen Amerika der 60er Jahre hat. Stoßlüfter Flash habe es mit seinem zur Perfektion getriebenen Stoßlüftsystem zu weltweitem Ruhm gebracht.
Als Gotti schließlich von Kosmonautentraining und Blitzknallerraketen erzählt, muss man unwillkürlich an Alfons Zitterbacke, den heimlichen Helden aus Kindertagen denken, und läuft Gefahr, den Anschluss zu verpassen, denn schon hat der Autor übergeleitet zur harmonischen Beziehung zwischen Mensch und Natur.
Zwischendurch lockert Sven van Thom immer mal wieder musikalisch den Abend auf und unterhält mit seiner Schwiegereltern-Triologie, dem Kosenamensong oder dem Reime-Battle-Rap. Einen ungewollten Lacher gibt es, als während eines Lesebeitrags von Gotti van Thoms Handy klingelt und der seelenruhig das Gespräch annimmt. Der ist sichtlich irritiert, dichtet Sven aber kurzerhand einen überwundenen Authismus an und freut sich über dessen soziale Kontakte.
Sozial auch der Abgang, der von einem Filmchen in youtube-Manier eingeleitet wird, in dem man minutenlang einen sichtlich orientierungslosen älteren Herrn beim Überqueren eines Wasserlaufes beobachtet. Als er es endlich schafft, ist das Publikum so hingerissen, dass es sogar klatscht! Ein Abend, dem ein wenig Tiefgang fehlte, der aber trotzdem irgendwie ganz nett war. Andrea Schneider
Andrea Schneider
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