Kultur: Gar Weihnachtliches
Die Schwarze Grütze auf dem Theaterschiff
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Während sich am Donnerstagabend eine immer dickere Schneeschicht auf die Stadt legt, erklingen an Bord des mollig geheizten, voll besetzten Theaterschiffs seltsam besinnliche Weihnachtslieder. Darin geht es um allerlei Schusswaffen, um viel Alkohol oder Schimmelpilze. Doch ist Weihnachten nicht nur die Zeit des Irrsinns, sondern auch der Suizide. Und so singen die beiden Potsdamer Kabarettisten der Schwarzen Grütze nach knapp zwei Stunden, als Zugabe natürlich auch ihr „Hochhauslied“. Makaber vergnüglich, es weihnachtet eben sehr.
Alle Jahre wieder ziehen Stefan Klucke und Dirk Pursche mit ihrem Weihnachtsprogramm „Endstation Pfanne“ durchs Land. Das ist nett und doch alles andere als langweilig. Denn kaum haben die beiden Herren ihr spaßiges Liedgut festtagstauglich abgestimmt, aktualisiert und mit Neuigkeiten belebt, streichen sie viel davon wieder heraus und präsentieren diese „Lustlosigkeiten“ lieber ganz offenherzig im nichtsdestotrotz wohlig bejubelten Schnelldurchgang. Wie Appetithäppchen schmecken da die Lovestory von Maria und Josef, die pseudo-biblische Weihnachtsgeschichte zur Melodie von Hänsel und Gretel oder auch die krude Kurzversion ihres Hits „Der Fensterputzer“.
Selbstverständlich mehr Aufmerksamkeit und zunächst ein kehliges Dankeslied erhält der Weihnachtsmann, wie jeder weiß, eine Erfindung von Coca Cola zum Schutz vor lila Kühen und Fischstäbchen-Opas, die aus Tiefkühltruhen kriechen. Weihnachten – ein aus den Fugen geratener riesiger Kindergeburtstag. „Ich schenke nichts“ singt Pursche deshalb, lüftet seinen roten Mantel und kratzt auf seinem echten Waschbrettbauch, während Klucke dazu Trötenklänge fabriziert und beseelt auf dem Klavier klimpert. Schenkte sich jeder nur selbst etwas, bekämen alle ein Geschenk. Weihnachtsmänner freilich sind dann überflüssig. Und unter den schrillen Klängen einer Blockflöte, gefolgt vom grandiosen Zusammenspiel ihrer spiegelblanken knallroten Gitarren und vor überaus gut gelauntem Publikum können zwei Kabarettisten dann sorglos gestehen, einen Weihnachtsmann erschossen zu haben. Immerhin befinden sie sich damit in bester Gesellschaft mit den Bewohnern ihres großen Adventskalenders, der neben ihnen auf der Bühne steht und der Form eines Hochhauses nachempfunden ist. Hinter jedem Fensterchen wartet ein Lied, oft mit Schlagermotiven oder verhunzten Werbeslogans garniert. Klucke und Pursche besingen den Schönheits- und Jugendwahn der reichen Oberschicht, berichten von Blutbädern in den mittleren Etagen, von wilden Massakern, die selbst Achmed den Schläfer resignieren lassen und erzählen von ausklappbaren Imbissbuden im Erdgeschoss, wohin außer dem rotnasigen Rentner Rudolf auch die Drogendealer, Tierpsychologen und Frauenhausmeister fliehen, um den Heiligabend nicht allein zu verbringen.
Tatsächlich sinkt die Stimmung an diesem Abend keinen Augenblick. Das ist erstklassige Unterhaltung, weit oberhalb üblicher Spaßmacherei. Was die schwarzen „Grützköpfe“ besonders auszeichnet, ist die musikalische Sattelfestigkeit gepaart mit diesen beweglichen, pointensprühenden Wortspielereien, die Liebe zum Vers und zu nie gänzlich nonsensfreien Schüttelreimen wie „Ich muss dich vor Hanne warnen. Sie wird Dir in die Wanne harnen.“ Nun hören sich Weihnachtsgedichte zwar anders an, doch ernten sie auch selten solch heiteren, festlichen Applaus, wie er den beiden durchweg beschert wird. Daniel Flügel
Daniel Flügel
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