zum Hauptinhalt

Kultur: „Gastmahl“ in der Manege

Theater in Raten: Comédie Soleil gab „Paganini, oh Paganini“ zwischen einem Drei-Gänge-Menü

Stand:

„Es ist furchtbar“, stöhnte die Bildreporterin einer Zeitung am Freitagabend entnervt. „Ob ich ins Walhalla gehe oder in die Manege, die essen ja immer nur! Man kommt überhaupt nicht dazu, Fotos von den Vorstellungen zu machen!“ Tatsächlich scheint nun auch Potsdam die etwas engere Liaison zwischen Gastronomie und Kunst entdeckt zu haben. Aber des einen Leid ist des anderen Chance: Bis die letzten Regularien in der Babelsberger Fultonstraße geklärt und der längst „fällige“ Förderverein für die Comédie Soleil gegründet sind, haben Michael Klemm und die Seinen mit der Eigenproduktion „Paganini, oh Paganini“ in der „Manege“ neue Wege probiert. Sie nennen es „Dinner-Theater“, was da am Wochenende zweimal über die kleine, von einem schönroten und gerafften Vorhang begrenzten Bühnlein, auf kurzen Stegen vor sich ging: Zwar war des einen Mahl des anderen Qual mitnichten, trotzdem wurde der gut zahlende Zuschauer in den Rang eines Fürsten gehoben, indes die Darsteller, also die Kunst, zwischen dem opulenten Dreigang-Menü ihre Szenen abzuliefern hatten. Wie gesagt, vorübergehend, denn in der Fultonstraße soll es dann wieder anders werden.

Zwei gewaltige Lüster über allem, fein gedeckte Tische mit großen Kerzenständern, ein freundliches Personal für die fast dreißig Besucher, während die nur an Klemms selbstgeschriebener Szenenfolge interessierten theatralischen Widergänger auf Barhockern Platz nahmen.

Zuerst die Vorspeise, getrüffelte Ricotta-Ravoli mit jungem Lauch und Strauchtomaten, dann traten Michael Klemm in der Hauptrolle, Nadja Winter, Romeo Riemer, die Lolly-lutschende Corinna Wiedenmann und Detlef Brand in Aktion, mit Ausnahme des Protagonisten in mehreren Rollen. Die Stimme von Paganinis (1782-1840) ehrgeizigem Papa kam aus dem Off, Szenen neidischer Musiker, während Detlef Brand als dankbarer Briefeschreiber an den bereits verstorbenen „Teufelsgeiger“ den Bogen zur Gegenwart schlug: Wie damals, so werde auch heute versucht, alles nur mit Pragmatismus zu lösen; natürlich stellte sich der Meister selbst mit einem irrwitzigen Geigensolo aus der Konserve vor. Dann kam der nächste Gang, Involtini vom Kalb auf Bohnenkartoffel cassoulette und Weißweinsabayone. Man speiste gemächlich und fürstlich, während der Theater-Besucher auf seinem Hochsitz den Fortgang dieser Geschichte erwartete, so ist eben das Leben.

Und schon ging es weiter, indem der von Angesicht hässliche Paganini seine Weibergeschichten inthronisierte, alles in Kürze und mit Kostüm. Deutschland kam zu Worte, ein wohlinszenierter Zusammenbruch („ihr habt mich getrieben!") des Maestros, die Neider zwischen Wahn und Genie, jetzt wurde von einem Darsteller das Dessert vom Menü „Paganini“ angekündigt, Lauwarmes Schokoküchlein auf Sauce „an-glaise“ mit Vanilleeis und marinierten Zwetschgen.

Pause. Im letzten Teil nahte dann das Ende des begnadeten Genies mit Raffinesse, indem der Autor ihn mit den Worten „Es könnte auch ganz anders gewesen sein“ wieder aufleben lässt.

Gut klang dieser Abend wohl aus, aber es war ja nicht alles. Diese Fassung hatte sich das Ensemble zum fürstlichen Anlass extra zusammengestellt, während zur echten Premiere in Fultons Straße demnächst viel mehr Szenen und Personen zu sehen sein werden. Hier war alles der Vereinbarung „Gastmahl“, gut Griechisch „Symposion“, zugeordnet. Ein Experiment im Selbstverständnis von Soleil, welches die an der Bar Hockenden freilich nicht so besonders sättigte.Gerold Paul

Gerold Paul

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })