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Kultur: Gedanken zum Weihnachtsmarkt

Es mag Potsdamer geben, denen gewisse Entscheidungen, die in der Stadt gefällt werden, Rätsel aufgeben. Ihnen reicht ein Potsdam völlig aus, in dem sich Pfützen bilden, wenn es regnet und man in die Parks gehen kann, wenn die Sonne scheint.

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Es mag Potsdamer geben, denen gewisse Entscheidungen, die in der Stadt gefällt werden, Rätsel aufgeben. Ihnen reicht ein Potsdam völlig aus, in dem sich Pfützen bilden, wenn es regnet und man in die Parks gehen kann, wenn die Sonne scheint. Sie fragen sich, wie es kommt, dass offensichtlich eine große Mehrheit immer genau das für die Stadt möchte, was ihnen selbst am fernliegendsten, haarsträubendsten, ja am irrwitzigsten scheint? Woher kommen die, die unbedingt ein Landtagsstadtschloss für 80 Millionen bauen wollen, oder jene, deren Berufung es ist, ein Stück Copacabana für ursprünglich fast 50 Millionen an den Brauhausberg zu bauen?

Auch der „Weihnachtsmarkt“ auf der Brandenburger Straße gehört zu diesen Phänomenen des Absurden. Ausnahmslos jeder, mit dem man spricht, findet ihn scheußlich. Der reine Menschenverstand geht fassungslos in die Knie, beobachtet er die unbarmherzig getakteten Buden, nach deren schonungslosem Gesetz einem Glühweinstand unverzüglich eine Wurstbräterei folgen muss. Glühwein, Wurst, Glühwein, Wurst – und vereinzelt auch mal Strümpfe oder bunte Mützen aus den Anden. Die Einzelhändler, denen Jahr für Jahr eine Fressbude vor das Schaufenster gestellt wird, wissen gar nicht mehr, was für einen Umsatz sie hätten, wenn kein Weihnachtsmarktterror die Fußgängerzone beherrschte und die Massen, die tagtäglich kauend und schlürfend an ihren Läden vorbeiziehen, die Gelegenheit hätten, einen Blick in ihre unverbauten Schaufenster zu werfen. Jahr für Jahr lähmt dieser lärmende Wahnwitz das Herz der Stadt. Schlimmer: Im Gedränge zwischen Röstereien, Punschständen und Losbuden können ungeahnte Aggressionen entstehen, die langfristig auf das Gemüt schlagen. Mit der ersten Bude, die einem die Wege und Blicke in der prominentesten Einkaufsstraße der Stadt verbaut, bröckelt der Glaube an ein ruhiges und friedliches Weihnachtsfest. Der Potsdamer Weihnachtsmarkt mit seinem auf den sofortigen Verzehr von Wurstwaren und Alkoholika ausgerichteten Angebot, Backfisch- und plärrenden Musik-CD-Ständen zeigt jedem, auch den Touristen, die hässliche Fratze eines ehemals besinnlichen Festes. Auf dem „Broadway“ hat man das Weihnachten als Event entwickelt, „wo man hin geht“. Pappbecher in der einen, Wurst in der anderen Hand – und immer in Bewegung bleiben. Was zählt, ist, dabei gewesen zu sein.

Kinder lassen sich am einfachsten verführen. Eltern empfinden ein Gefühl von Trostlosigkeit, wenn der kleine Schatz auf der öden Bimmelbahn seine engen Kreise um die Weihnachtstanne am Brandenburger Tor zieht, oder vom Feuerwehrauto des Kinderkarussells herüberwinkt. Das Kind in seiner Unschuld freut sich, der Erwachsene sieht vielleicht nur die dreiste Verführung. Seit wann gehört Jahrmarkts-Schwindel zum Weihnachtsfest? Und der Schwips und die Magenverstimmung?

Also noch mal zurück zum Anfang: Wie kommt es, dass der Weihnachtsmarkt in der Fußgängerzone von einer Mehrheit anscheinend erwünscht ist? Welcher Teil Potsdams befürwortet Spaßbad und Landtagsneubau?

Viele Potsdamer gehen gar nicht zwischen den Buden entlang. Sie drücken sich durch die schmalen Gassen, die hinter den Ständen verblieben sind. Ihnen reicht es, dass sich Pfützen bilden, wenn es regnet, und man in die Parks gehen kann, wenn die Sonne scheint.

Auf der Rückseite, hinter den lauten Kulissen, fragt man sich, was vom Niemeyer-Bad oder dem Landtagsschloss zu halten ist.

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