Kultur: Gedankenfreiheit
Der konkret-konstruktive Maler Otto Reitsperger in der Galerie für konkrete Kunst
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Der konkret-konstruktive Maler Otto Reitsperger in der Galerie für konkrete Kunst Von Klaus Hammer Seine Kunst kommt scheinbar ganz einfach daher und ohne großen Aufwand. Aber sie leistet mehr als mancher künstlerischer Wirbel, der anderswo seine Kreise zieht. Vertikale, Horizontale, Maße, Verhältnisse, Linien und Farben – erstaunliche Farbvariationen! – werden in Beziehung zueinander gesetzt. Es ist die Klarheit der Gestaltung, die diesen Künstler fasziniert, denn Strenge und Geometrie beherrschen den Bildaufbau. Und Klarheit bedeutet für ihn Reduktion der Form und Farbe. Der Österreicher Otto Reitsperger, der übrigens lange nach Abschluss seines Studiums an der Hochschule für Angewandte Kunst in Wien noch einmal 1989/90 bei Bernhard Heisig an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst Unterricht nahm, setzt feine, zarte Farblinien gegen große, breit lastende Flächen. Im Gegensatz zu Linie und Fläche wird die Farbe fast intuitiv von ihm eingesetzt, um eine Harmonie der Farbflächen zu erreichen. Mit der Farbe als bewegte Fläche, unter Einsatz von Schwarz und Weiß, ergeben sich – unmerkliche, keineswegs aggressive – Spannungen. Eigentlich betreibt Reitsperger nichts anderes als ein freies, rhythmisches Spiel mit Linie, Fläche und Farbe, der miteinander korrespondierenden Farbfelder. Ihn reizt es, deren Kombinationsfähigkeit zu erproben, immer wieder neue Variationen zu erfinden. Das Verfahren der Zerlegung in einzelne Bildteile, der Teilung, Bewegung, Verschiebung oder auch Verteilung liegt dem Bildgedanken zugrunde. Meist ist die Grundfarbe Schwarz präsent. Denn Schwarz signalisiert die Abwesenheit von Licht, es behält einen Rest von Reflexion und wird so zur Projektionsfläche von Vorstellungen und Phantasien, es übt einen Sog aus, der den Eindruck von Tiefe und damit ein virtuelles Volumen vermittelt. Durch den Vergleich der Grundfarbe Schwarz mit den durch die serielle Aktion abgewandelten Farben und Farbvariationen kann der Betrachter die Intentionen des Künstlers mitvollziehen. Doch das konstante Prinzip, nach dem die elementaren Flächen zu immer neuen Farbkonstellationen zusammengesetzt werden, ist der Goldene Schnitt. Dieses Proportionsverhältnis, das schon in der Antike als Inbegriff von Harmonie und Schönheit galt, beruht auf der Teilung einer Fläche in einen kleineren und einen größeren Abschnitt. In Reitspergers 8er-Serien Bln. XI, XII und XIII (2004) ist es das Teilungsverhältnis 1 (Schwarz): 3 (Farbe). Durch die sinnlich fassbare Darstellung soll dieses Prinzip vom Betrachter intuitiv erfasst werden und sowohl emotional als auch intellektuell auf ihn einwirken. Diese seriellen Arbeiten – man könnte sie auch als „Phasenbilder“ bezeichnen – dokumentieren eine permanente Bewegung des bildnerischen Denkens, seine Wandlungen, seine Möglichkeiten, seine Dynamik. Manche veranschaulichen dieses harmonische Maß als interne Spannung, indem sämtliche Farbvariationen in Relation gesetzt werden. Andere wiederum verweisen auf die Dynamik, die sich aus der aus dem Goldenen Schnitt ableitbaren progressiven Folge ergibt. Hier experimentiert Reitsperger mit der Gewichtung von inhaltsgleichen Farbflächen, mit der Verwandlung und Harmonisierung ihrer Ausdruckswerte. Denn neben der Dualität von Dunkelheit und Farb-Licht ist auch der Übergang von einem Farbzustand in den anderen faszinierend. Da gibt es seltene Blaus, ein Blassgrün und graugrünliches Gelb, manchmal auch mehrere Gelbtöne. Dazu treten Weiß, Grau, Braun. Wenn Farben gemischt werden, verlieren sie ihre individuelle Eigenart, ihre Identität. Wird das reine Blau durch Orange-Rot ergänzt, kann sowohl Blau-Grau als auch eine helle Pfirsichfarbe und ein dunkles Braun entstehen. Die Grundfarbe bildet also synchron ihre Komplementärfarben. Gleichzeitig steht dieses Blau ihnen komplementär gegenüber. So ergeben sich oszillierende, energetische Farbflächen von transzendierender Kraft. Solche Formen und Farben erlauben Gedankenfreiheit, Durchblicke in andere Welten. Man erlebt die Veränderungen im Linien- und Flächenausdruck, fühlt Stabilität und Labilität, Ruhe und Lockerung, Statik und Dynamik, Schweres und Leichtes. Die Farbe ist gleichsam Musik für die Augen und führt zur Sicht in andere Dimensionen oder zur Meditation. Es sind Bilder der Leere und zugleich der Fülle, Bilder der Stille und auch der Unruhe. Und jedes Bild ist immer ein Suchen, Finden und Hinterfragen. Trotz ihres seriellen Charakters vermitteln die Arbeiten von Otto Reitsperger dennoch eine Vorstellung von „Handschrift“, von künstlerischer Identität, eine Wiedererkennbarkeit, hinter der ein entschiedenerAusdruckswille steht. Galerie für konkrete Kunst Potsdam, Friedrich-Ebert-Str. 33, Fr-So 14-17 Uhr, Di-Do nach Vereinbarung (Tel.: 030-21916710, 0175-5469961), bis 18. Mai.
Klaus Hammer
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