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Kultur: Gefährlich und wechselvoll

Chaim Noll las aus „Der Kitharaspieler“

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Er ist in Potsdam durchaus kein Unbekannter, der israelisch-deutsche Schriftsteller Chaim Noll. Nach zwei Lesungen aus seinem Essayband „Meine Sprache wohnt woanders“ kann der gebürtige Ostberliner und Sohn des kürzlich verstorbenen Schriftstellers Dieter Noll inzwischen auf eine stattliche Fangemeinde in der Landeshauptstadt verweisen.

Bei Chaim Nolls Lesung am Donnerstag in der Stiftungsbuchhandlung waren die streng bemessenen Stühle schnell gefüllt. Der 2008 erschienene Roman „Der Kitharaspieler“, den Chaim Noll vorstellte, hatte es nicht leicht, einen Verlag zu finden. 1000 Buchseiten sind in unserer schnelllebigen Zeit für jeden Verlag ein „kalkulationstechnisches“ Problem. Der junge, aufstrebende „Verbrecherverlag“ fand sich schließlich bereit. Allerdings musste Noll eine Kürzung um 200Seiten hinnehmen. Was ihm noch immer Schmerzen bereitet. Aber jeden gutwilligen Leser ermutigt, sich dem opulenten Werk trotz chronischen Zeitmangels doch zuzuwenden.

Zunächst war die mündliche Einführung in jeder Hinsicht hilfreich, die fremde, geheimnisvolle Romanwelt zu verstehen. Mit seiner modulationsfähigen Stimme vermochte Noll, sie faszinierend vorzustellen. Der Ort der Romanhandlung ist das antike Rom im ersten Jahrhundert, das Chaim Noll in seinen ersten Schreibjahren täglich zu Fuß durchwanderte. So konnte er die Orte und die verbliebenen steinernen Überreste der „Domus Aurea“ direkt nach ihren Geschichten befragen.

Der Ich-Erzähler des Romans führte als Hofdichter Neros ein gefährliches und wechselvolles Leben. Als Sohn einer Freigelassenen aus dem Land Judäa, erlebte er seine Kindheit und Jugend am Hofe Caesars: „Dieser Hügel ganz mit Palästen, lang gestreckten Säulenhallen und lauschigen Gärten bedeckt, war zur Zeit meiner Kindheit ein ruhiger Ort.“ Die idyllischen Zeiten wandelten sich nach dem frühen Tod Caesars schnell. Während der Ich-Erzähler mit den Söhnen der Hofbeamten die lateinische und griechische Sprache erlernte, sorgte die Mutter dafür, dass der Sohn sich der verlorenen Heimat verbunden fühlte. Sie sprach mit ihm Aramäisch. Ein Landsmann unterwies ihn im Hebräischen. Agrippina, die Mutter Neros, stellte den aufgeweckten Sohn früh in den Dienst des damals noch minderjährigen Kaisers. Gesalbt und in eine Toga gehüllt, wurde er fortan in den schönen Künsten unterwiesen, um sie dem Kaiser zur Verfügung zu stellen. „Die Beschäftigung mit Schriftlichem ist mein Leben geworden, nur am shabat und an Feiertagen lasse ich das Schreiben ruhen. Doch auch an diesen Tagen versenke ich mich in den Zauber der Schriftzeichen, folge ihrem geheimnisvollen Ruf in ein Früher und Fern – von hier.“

Diese Worte des Ich-Erzählers lassen die innige Identifikation des Schriftstellers mit seiner fiktiven Figur durchschimmern. Auf der Kithara, ein griechisches Saiteninstrument, spielte der Kunst liebende römische Kaiser Nero mit großer Vorliebe. Der Ich-Erzähler schrieb das Theaterstück „Der Kitharaspieler“ für ihn. Nur wenige Verse und Lieder des Stückes stammten aus der Feder des mäßig begabten Kaisers. Und dennoch ließ sich Nero bei der Uraufführung in den Römischen „Gärten der Agrippina“ als erfolgreicher Autor feiern, eifersüchtig darüber wachend, dass nicht der wahre Dichter sein Urheberrecht einklagen könnte. Dass dem Kaiser diese Täuschung gelang, davon zeugte ein späteres Romangespräch mit dem Jugendfreund Asarja. Ihn hatte der Ich-Erzähler nach der Zerstörung Jerusalems unter Titus freigekauft. Das Gespräch zwischen dem gesetzestreuen Erzähler und dem jesusgläubigen Asarja steht im Zentrum des Romans und beleuchtet ein wichtiges Anliegen Nolls: „Er schien an ihn zu glauben. Zwar verstand ich nicht, warum, verstand nicht, warum es ein Mensch sein musste, ein junger Jude aus Nazara, worum ihm Gott allein nicht reichte. Das verstand allein Gott. Darum kein Streit.“

Barbara Wiesener

Chaim Noll, „Der Kitharaspieler“, 34 €, Verbrecherverlag.

Barbara Wiesener

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