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Kultur: Gefeiert und doch ausgedient

Roland Kuchenbuch gab im Theaterfoyer mit Leidenschaft den Eisernen Gustav

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Wüsste man nicht, dass es auch unter den Jüngeren vom Hans Otto Theater ganz prachtvolle Stimmen gibt, so würde man den Jahresauftakt der „Märkischen Leselust“ am Sonntag ohne jedes Zögern mit den Worten „alte Schule“ beschreiben. Von eher sparsam gesetzten, aber unüberhörbaren Tuba-Klängen (Christiane Struzyk) begleitet, las, nein gestaltete der Schauspieler Roland Kuchenbuch im unteren Foyer Hans Falladas großen Roman vom „Eisernen Gustav“. Hans-Jochen Röhrig führte kurz in die lange nachwirkende Werkgeschichte des 1938 entstandenen Textes ein. Ausgerechnet der „Kulturbolschewist“ und bekannte Immigrant Fallada alias Rudolf Ditzen (1893-1947) sollte für die Tobis-Filmgesellschaft eine alte Zeitungsnotiz aufbereiten, die lange Kutschfahrt des legendären „Eisernen Gustav“ von Berlin nach Paris und retour.

Gustav Hackendahl betrieb in der Frankfurter Allee ein gutgehendes Kutschgeschäft, wo er Angestellte und Pferde „genau wie in der Kaserne“ führte. Die aufkommende Automobilität und der Erste Weltkrieg vermasseln dem ehemaligen Kürassier das Geschäft. „Eisern“ hält er an seinen Grundsätzen fest, auch wenn es seine Familie verdirbt und sein Geschäft ruiniert. Durch den Solo-Ritt eines „französischen Frauenzimmers“ von Paris in die deutsche Hauptstadt angeregt, gelingt ihm mit fast siebzig Jahren noch ein kurzes Comeback, er fährt mit seiner alten Droschke „zur Versöhnung“ bis nach Frankreich. Die finanzielle und geschäftsorientierte Vorbereitung erinnert stark an heutige Zeiten – schon damals war „Propaganda“ für ein „Event“ dieses Kalibers alles. Wohin Gustav auch kam, überall wurde er stürmisch gefeiert. Sein treues Weib blieb zurück, es glaubte, ihren Justav niemals wiederzusehen. Letztlich währte dieser späte Ruhm nur kurz, bald hatte man seine Heldentat wieder vergessen. Propagandachef Goebbels interessierte sich persönlich für diesen Film. Er stellte zwar 1,5 Millionen Reichsmark zur Verfügung, wollte das 800-Seiten-Skript aber „nicht in der Systemzeit“ enden lassen. Fallada geriet unter Druck. Schließlich lässt er Gustav NS-Größen die Hand reichen: „Na dann, mit Euch!“ Der fertige Film wurde trotzdem bald abgesetzt, auch als Buch war der Text nicht mehr zu kaufen. Es gab noch später Ärger: 1958 erschien in Hamburg eine für alle Kenner unzumutbare „Rekonstruktion“, sieben Jahre später im Aufbau-Verlag eine akzeptierte. Auf sie stützt sich die Textauswahl von Röhrig. Er wählte ein paar Szenen, um die Ablösung von Kutsche zu Auto deutlich zu machen, dann so ausführliche wie erheiternde Passagen des Pariser Droschken-Abenteuers, wofür die Zuschauer der letzten Reihe mit optischen Mitteln ein wenig „Großstadt-Rummel“ verursachten.

Außen vor blieb Gustavs tragische Familiengeschichte, worauf sich sein Beiname stützt. Die Einführung hätte das mitteilen sollen, sonst versteht man weder Falladas Wurf noch seine innere Nähe zu Heinrich Manns „Untertan“.

Für den exzellenten Textgestalter Kuchenbuch wäre es ein leichtes gewesen, auch solche Passagen zu geben. Er las mit aller nur möglichen Anteilnahme, was da ausgewählt war, er machte aus den Dialogen kleine Geschichten, den Dialekt zu Perlen für die Zuhörerschaft. Warmherzig, engagiert, leidenschaftlich, mit märkischer Leselust – dieser Justav Kuchenbuch war Klasse. Ein Meisterstück, Gratulation, alte Schule eben.

Gerold Paul

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