Kultur: Gefühlsinnig
Konzert zur vorösterlichen inneren Einkehr
Stand:
Kaum ist der letzte Ton der musikalischen Bitte um ewigen Frieden von Gabriel Faurés gefühlsinniger „Requiem“-Vertonung am Samstag in der Erlöserkirche verklungen, sucht wohl ein jeder Zuhörer innere Anspannung und Ergriffenheit für sich zu verarbeiten. In die andachtsvolle, geradezu körperlich spürbare Einkehr fährt blitzesgleich ein ohrenbetäubender Beifall eines einzelnen Zuhörers. Keiner klatscht ihm bei, die Entgleisung wirkt mehr als peinlich. Einem zweiten Versuch eines anderen widerfährt gleiche Reaktion. Die Stimmung der Aufgewühltheit ist perdu. Mit aller Deutlichkeit sei’s angemerkt: Wer im Vorfeld der Karwoche, die dem Gedächtnis des Leidens Christi gewidmet ist, ein Kirchenkonzert besucht, sollte wissen, dass es Usus ist, nach der Aufführung einer Marienklage („Stabat Mater“) oder einem Totengedenken („Requiem“) ohne Beifallsbekundung in Stille auseinanderzugehen.
Nachdem die Hörgemeinde gefühlsmäßig wenig später mit sich selbst im Reinen ist, dankt sie aus vollem Herzen einer Aufführung, der es an Intensität der Ruhe und Ausdruckstiefe nicht gemangelt hat. Zu danken ist diese tiefgründige Exegese dem Dirigenten Ud Joffe, der Potsdamer Kantorei, dem Neuen Kammerorchester Potsdam und einem exzellenten, zwischen Chor und Orchester platzierten Solistentrio.
Doch ehe es um die „letzten Dinge“, um Fürbitte für die Toten geht, erklingt mit Karol Szymanowskis „Stabat Mater“ eine bewegende Vertonung jener biblischen Szene, in der Jesu Mutter in Trauer über den grausamen Tod ihres Sohnes am Kreuz wehklagt. Dabei hat der Komponist eine polnische Übersetzung des lateinischen Textes des mittelalterlichen Reimgedichts verwendet, weil „für die meisten Menschen diese tote Sprache ihren emotionalen Inhalt verloren“ habe. Und so ließ er sich von heimischen volkstümlichen Klängen berühren und zu einer gefühlsinnigen Vertonung anregen. Leise Klagelaute, sehr zart, geschmeidig und transparent von der Potsdamer Kantorei angestimmt, sorgen für transparentes Leuchten und sanftes Fließen, woran die Bläserstimmen erheblichen Anteil haben. Die faszinierende Homogenität und Weichheit der erstklassig geschulten Stimmen der Mitglieder der Potsdamer Kantorei macht nicht nur in diesem Abschnitt gehörig Staunen. Nicht weniger kultiviert können sie sich auch zu hymnischer Größe steigern, besänftigenden Trost spenden.
Von verinnerlichtem Sopranleuchten (Peggy Steiner) über kraftvollen, sich voluminös verströmenden Bassbaritonwohllaut (Jaroslaw Brek) bis hin zu fülliger, schlicht strömender Altintensität (Agnes Zwierko) ist ein Solistentrio am knapp dreißigminütigen Werke, das nicht besser aufeinander eingestimmt sein könnte. Nach einer durch Beifall, Musikerwechsel, kurzer Sitzpause für den Chor und instrumentalen Stimmübungen bestimmten Zäsur erklingt das Fauré-„Requiem“, eine programmdramaturgisch sinnvolle Fortführung der vorösterlichen gedanklichen Vorbereitungszeit. Und wieder beeindruckt die Hingabe aller Beteiligten an des Werkes melodienselige, tröstliche, geheimnisvolle, leidenschaftlich erregte, das aufgewühlte Gemüt besänftigende Botschaft. Sie hätte man noch lange in sich nachklingen lassen wollen. Peter Buske
Peter Buske
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: