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Kultur: Gegen den Strich gebürstet

Neu: Improvisierte Musik im Pacha Mama

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Der Titel klingt fast ein bisschen nach Verwaltungsdeutsch: „Monatliche Programmreihe für improvisierte Musik in Potsdam-West“. Doch verbirgt sich dahinter ein unkonventionelles, weil sich jeder Konvention zu entziehen suchendes Projekt. Entziehen einmal den gängigen Konzertgegebenheiten, selbst denen der sogenannten freien Jazzimpovisation, die ja doch eher in publikumsorientierter Manie oder musikerinternem Virtuosenwettstreit daher kommt, zum anderen jeder inhaltlich vorgegebenen Rahmenbedingung, Vereinbarung, Absprache.

Was im Mittelpunkt dses Konzertes steht, ist die Überraschung. Und nichts anderes heißt ja Improvisation letztlich: improvviso – unerwartet. Das Unerwartete des Augenblicks. Frage ist nur, wie es zustande kommt, wann und wo. Und schließlich: mit wem. Miteinander-vertraut-Sein ist sicher etwas Essentielles dabei, was nicht Intimität im Allgemeinmenschlichen bedeutet. Vertraut-Sein im Zulassen der Inspiration des Augenblicks.

Interaktion, denn musikalische Zusammenhänge sind in einer solchen Situation nicht allein aus der Entwicklung des Materials erklärbar, schon gar nicht planbar. Undogmatisch freilich auch, denn es ist das Nutzen eines weitreichenden Materialvorrats, ein Beherrschen sämtlicher geräusch- und klangerzeugender Spieltechniken auf den Instrumenten, was so manchem klassischen Musiker vielleicht die Haare zu Berge stehen lässt. Das alles ist sehr subjektiv, individuell.

Die Premiere dieser neuen Programmreihe im Souterrain des Restaurants „Pacha Mama“ bestritt das Potsdam-Berliner Trio Zettl Qu Bo, hinter dem sich Miriam Bondy (Stimme, Percussion, Kontrabass), Frank Zimmermann (Cello) und Projektinspirator Thomas Michael Kumlehn (Flöte, Stimme) verbergen. Es war schon faszinierend zu erleben, wie die drei Musiker sich aufeinander und auf ihr Publikum einließen, sich dem Fluss der Klänge und Worte hingaben, sich in ihrem Äußern immer wieder Neues aus dem einen und dem anderen ergab.

Dass im klanglichen Kontext skurrile Geschichten und Versfetzen makabrer Doppeldeutmöglichkeit entstanden, eine enorme Verdichtung des Materials schließlich zur Erlkönig-Beschwörung mit Heidenröslein zur Frage nach dem „Sag mir wo die Blumen sind“ und „Do you remember when we were 17“ führt – es wunderte nicht.

Auch die Frage nach dem „Verstehen Sie immer, was in der Zeitung steht?“, während dem die Zeitung zum Percussion-Instrument wird und sich die Antwort erübrigt, denn die kleinen Fetzen kann keiner mehr lesen Was sagt mir der Augenblick? Verlangt er Schönheit? Schmerzliches? Albernes oder Bitteres? Woher resultiert der Klangzauber dessen, was Cello, Flöte, Kontrabass, Stimmen, Percussion und Geräuschobjekte formen?

Der Augenblick gegen den Strich gebürstet, sich dennoch im Klang versenken. Das mag nicht jedermanns Sache sein. So dieses leicht rau-samtige Klingen und Fließen. Die Zuhörerschar war begeistert. Auch von den finalen feinen Vokalisen über langen Basstönen, Flötenrauschen und Sprechgesang, Klanggebilden aus Murren, Seufzen, Pfeifen, Vögelzwitschern. Plötzlich mündete alles so ganz ernstgemeint in einem Herz-heil-innig-Idyll. Oder? Christina Siegfried

Nächster Termin: 22. April, 21 Uhr, Pacha Mama, Lennestraße/Ecke Sellostraße

Christina Siegfried D

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