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Mitgespielt. Arkadi Zaides tanzt zu Amateurfilmen aus der Westbank.

© Gadi Dagon

Kultur: Gegen die Leinwand

Potsdamer Tanztage: Wie der Israeli Arkadi Zaides den Palästinakonflikt tanzt

Stand:

Man kann nicht unbedingt behaupten, dass die Deutschlandpremiere von „Archive“ des Israelis Arkadi Zaides bei den diesjährigen Potsdamer Tanztagen im T-Werk ein Erfolg war. Doch die Bemessung an einem Erfolg, der alle Besucher restlos überzeugt und für eine hohe Quote sorgt, wäre vielleicht auch die falsche Grundlage. Wenngleich eine hohe Quote in diesem Fall wünschenswert wäre. Denn in diesem Fall geht es um die Sichtbarmachung des täglichen Siedlerwahnsinns orthodoxer Juden in der Westbank, die den Palästinensern das Leben zur Hölle machen, in dem Glauben, das durch die biblische Historie geheiligte Recht auf ihrer Seite zu wissen.

Als deutscher Kommentator wird man dabei kaum ein Fettnäpfchen auslassen, in das man nicht auch noch treten würde. Und so muss man es am Ende vielleicht mit dem New Yorker Kolumnisten Tuvia Tenenbom halten, demzufolge es fast scheint, als brauchten Juden und Palästinenser in diesem letztlich nicht zu entwirrenden Konflikt einander, um das quasi ritualisierte Theater der religiös inspirierten, fanatischen Gewalt Tag für Tag von neuem aufzuführen.

Im Jahr 2007 begann ein bemerkenswertes Projekt. B’Tselem – das Israelische Informationszentrum für Menschenrechte in den besetzten Gebieten – stellte Palästinensern Videokameras zu Verfügung, mit denen sie kontinuierlich Menschenrechtsverletzungen dokumentieren sollten.

Entstanden sind daraus atemberaubende Mitschnitte, die an Prinzipien von Dogma ’95 orientierten Filmemachern kaum besser gelingen könnten. Teils unscharfe, oftmals verwackelte oder aus der Deckung heraus erzielte Aufnahmen zeigen in nicht zu überbietender Direktheit das realpolitische Geschehen: Jüdisch-orthodoxe Siedler demonstrieren für das von ihnen beanspruchte Land, die Kinder der Siedler üben sich mit Schlingen im Steinwerfen, betrunkene und im Rausch befindliche Jugendliche schlagen gegen palästinensische Geschäfte, Erwachsene mit Kippa versuchen sie infantil kaum daran zu bremsen, Soldaten schießen mit Tränengas, Felder der Palästinenser werden in Brand gesetzt, ihre Schafherden vertrieben, pro-palästinensische israelische Aktivisten beschimpft man als „Nazis“.

Diese Bilder sind eindringlich und im Sinne zeitgemäßer cinematografischer Ästhetik regelrecht brillant. Man darf nicht vergessen, die Westbank liegt gerade mal 20 Kilometer von Tel Aviv entfernt. Israel ist ein genauso unübersichtliches Land wie jedes andere, es gibt die orthodoxen Siedler, die linken Aktivisten, die nicht politischen Partygänger und so weiter.

Doch gerade weil die Bilder so eindringlich sind, scheitert Arkadi Zaides daran. Er kommt mit seinem Körper nicht dagegen an. Die Videoleinwand im Hintergrund bedient er mit der Fernbedienung den Bildlauf. Hin und wieder erfolgen Cuts, Blenden. Der Tänzer stellt Gesten und Haltungen nach, um Zeit einzuschleusen, die Reflexion ermöglicht. Man soll hinschauen. Das ist verständlich. Und allein den Blick darauf zu lenken, gebührt alle Achtung. Zaides gewann damit einen Preis des Emile Zola Lehrstuhls für Menschenrechte. Das geht sicher in Ordnung.

Aus Sicht des Tanzes, der den Akteur genauso wie das Publikum an den Rand der körperlichen Erfahrung bringt, bleibt „Archive“ unbefriedigend. Mehr Performance zeitgenössischer Kunst als Tanz im Tanztheater, egal wie politisch, geht der Choreograf kein einziges Mal bis an die Grenze des körperlich Möglichen, bis zur Unerträglichkeit. Das ist durchaus gewollt. Auf diese Weise wird die seltsame Normalität dieses Konflikts nachgespielt, mit seinen Pausen und dem neuerlichen Beginnen. Und dennoch fühlt sich das loophafte Dargestellte als Doppelung des Dokumentierten überflüssig an. Die Bilder auf der Leinwand kratzen zu sehr an der Würde des Menschen, als dass Arkadi Zaides eine Chance hätte, die Aufmerksamkeit auf seine Seite zu ziehen. Sein einsamer menschlicher Körper verliert gegen das digitale, großformatige Bild. Ralph Findeisen

Ralph Findeisen

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