Kultur: Gegen die Sprachlosigkeit
Herta Müller las im Literaturladen Wist
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Herta Müller las im Literaturladen Wist Sprachlos wollte Herta Müller nicht bleiben. Sprachlos vor dem, was ihr eigentlich die Sprache verschlagen musste. Im Jahre 1953 im deutschsprachigen Nitzkydorf in Rumänien geboren, in der Stadt Temeswar studiert, war sie schon bald in den Blick der Geheimpolizei Securitate geraten. Freunde sollte sie bespitzeln. Doch sie weigerte sich, wissend, was dies im gnadenlosen SchwarzWeiß-Denken einer Diktatur bedeuten würde. Verhöre, Hausdurchsuchungen, Morddrohungen, mit den offensichtlichen Repressalien kamen auch die versteckten, ständig spürbaren. Daraus erwuchs eine Angst, eine „lange Angst“, wie sie Herta Müller nennt. Eine Angst, die ihr zeigte, wie tief und absolut der Zugriff des Ceausescuregimes auf sie war. Doch sie begegnete dieser Angst mit ihrer Sprache, die sie sich erst neu erfinden musste. Anzusprechen ohne auszusprechen nennt Herta Müller ihren Umgang mit der Sprache im damaligen Rumänien im titelgebenden Text ihres neuesten Buches „Der König verneigt sich und tötet“, aus dem sie am Montagabend im Literaturladen von Carsten Wist vorlas. Neun Texte, die sie unter anderem in Tübingen im Rahmen einer Poetikvorlesung gehalten hat, hat sie zusammengetragen. „Auftragsarbeiten“, wie sie Herta Müller im anschließenden Gespräch mit Carsten Wist bezeichnete, in denen sie sich mit dem eigenen Schreiben auseinandersetzt. Eine Auseinandersetzung, der sie sich aus eigenem Antrieb nicht gestellt hätte. Denn dies bedeute auch immer eine Auseinandersetzung mit sich selbst, von der sie weiß, dass sie zwar notwendig aber auch unangenehm sei. Die Mühen jedoch haben sich gelohnt. Wie in ihren Romanen, wie „Der Fuchs war damals schon der Jäger“ oder „Herztier“, ist Herta Müller auch in „Der König verneigt sich und tötet“ gnadenlos in dem, was sie schreibt. Schonungslose Offenheit, mit der sie hier dem Leser gegenübertritt. Und das mit einer Sprache, die überwältigt, bei der man sich aber scheut, sie „schön“ oder „fesselnd“ zu nennen, da dies dieser Sprache nicht gerecht werden würde. Herta Müller fordert den Leser, denn Worte sind bei ihr nicht einfach nur Worte. Schon als Kind hat sie sich in ihrem Heimatdorf der einfachen Sprache versperrt. Hat sich bekannten Bezeichnungen verweigert und ihre eigene Sprache entworfen. Später in der Stadt, als die Securitate den Klammergriff um ihren Hals legte, jedes gesprochene Wort genau überdacht werden musste, hat sie ihre Sprache verfeinert. Denn nur mit dieser konnte sie sich wehren. Den Diktator nennt sie, anzusprechen ohne auszusprechen, erst „Herztier“, dann „König“ und rückt ihm mit Gedichten auf den falschen Pelz. „Es zeigte sich, dass man dem König durch Reime beikommen kann. Man kann ihn vorführen ... Man kann die Reime gegen den Strich kämmen, sie in der Mitte der Sätze, also räumlich, verstecken und zusehen, wie sie das, was sie preisgeben, gleich wieder schlucken.“ 1987 emigrierte Herta Müller nach Deutschland. Die Securitate und die „lange Angst“ blieben jahrelang bei ihr. Erst mit dem Sturz und dem Tod Ceausescus konnte sie sich davon lösen. Herta Müller hat viel erdulden müssen, Freunde von ihr wurden getötet. Doch erlebte man im Literaturladen keine verbitterte Frau. Humorvoll und sehr emotional erzählte sie an diesem Abend von ihren Erfahrungen, der Aufarbeitung der Ceausescu-Verbrechen in ihrer Heimat, die sie als reinste Farce bezeichnete und von dem Mann, der nach Deutschland kam, um sie zu töten, rechtzeitig gefasst wurde und heute Direktor einer Saftfabrik in Temeswar ist. „Besser er macht Saft, als das er Menschen tötet“, so ihr leicht zynischer Kommentar. Aber anders lassen sich derartige Tatsachen wohl kaum ertragen.Dirk Becker
Dirk Becker
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