Kultur: Gehaltvoll Silvesterkonzert
in der Nikolaikirche
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Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Diese Erfahrung musste auch Johannes Brahms machen, der, nachdem er das Cellokonzert seines tschechischen Kollegenfreundes Antonin Dvorak kennenlernte, geäußert haben soll: „Warum habe ich nicht gewusst, dass man ein Cellokonzert wie dieses schreiben kann? Hätte ich es gewusst, hätte ich schon vor langer Zeit eines geschrieben!“ Dieses Konzert für Violoncello und Orchester h-Moll op. 104 ist das letzte große Werk, das der Komponist während seines dreijährigen Aufenthaltes in Nordamerika im Winter 1894/95 geschaffen hatte. Das erste Werk, das Dvorak in Amerika komponierte, war die 9. Sinfonie e-Moll op. 95, der er den Namen „Aus der Neuen Welt“ gab. „Die Amerikaner erwarten große Dinge von mir“, schrieb er an seinen Freund Hlávka, „vor allem soll ich ihnen den Weg ins gelobte Land und in das Reich der neuen, selbständigen Kunst weisen, kurz: eine nationale Musik schaffen!“ Es gelang ihm aufs Vorzüglichste. Kein Wunder ist es auch, dass beide Werke einander ähnliche Hauptthemen aufweisen. Während sich in der Sinfonie rhythmische Synkopierungen und Indianerfolklore mit dem tschechischen Idiom verbinden, ist es im Cellokonzert der böhmische Ton, der das gesamte Werk durchzieht.
Für den Leiter der Neuen Potsdamer Hofkapelle, Björn O. Wiede, lag es daher nahe, diese gehaltvolle Klassikkost in deren Silvesterkonzert aufzuführen. Eine emotionsverheißende Zusammenstellung, die das Publikum in die Nikolaikirche strömen ließ. Kein Platz blieb unbesetzt. Zunächst erklang das Cellokonzert, dessen Solopart des Dirigentens Neffe Philipp Wiede übernommen hatte. Ehe er ihn mit fast kammermusikalischer Delikatesse ausführen konnte, schlug das Orchester zunächst einen lyrisch-verhaltenen Grundton an, der immer wieder von leidenschaftlichen Episoden unterbrochen wurde. Nachdem Hörnerseligkeit und die weitgehend vibratoarm gestrichenen Geigen verklungen waren, entspann sich zwischen Solist und Orchester ein sinfonisch angelegter Dialog, den der Solocellist der Münchner Symphoniker nicht mit voluminös-kraftstrotzendem Ton, sondern eher verhalten, nachdenklich und singend führte. Im Leisen vollzog sich ein klanglich vorzügliches Miteinander. Wiedes knappe Dirigiergestik entlockte auch dem Adagio-Satz all seine wesentlichen meditativen Intentionen. Geheimnisvoll bis kapriziös leitete sich das finale, tänzerisch beschwingte Allegro ein, das sich einen elegischen Abgesang gönnte, der jedoch in einen kraftvollen Abschluss mündete.
Dem vorangegangenen, weitgehend antiromantischen Musizieren folgten Klänge „Aus der neuen Welt“, die geschmeidiger und klanglich ausgewogener sowie dynamisch weitspannender abgestuft waren. Brio-Klänge erfreuten immer wieder das Ohr. Doch aushäusige Böllereien gleich Kanonenschüssen störten das Hörerlebnis zuweilen erheblich. Dafür entschädigte das hingebungsvoll geblasene Solo des Englischhorns im Largo-Satz, der in großer Ruhe musiziert wurde. Temperamentvoll, mit kecken Einwürfen von Oboen und Triangel und sehnsuchtsvollen Reminiszenzen zeigte sich das Scherzo, während das finale Allegro con fuoco tatsächlich „mit Feuer“ vorüberzog. Und wieder sorgten lyrische Abschnitte für Ruhepunkte und besinnliche Momente, ehe der leise verklingende Schluss durch eine kurze Finalstretta kontrapunktiert wurde. Peter Buske
Peter Buske
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