Kultur: Geheimnisvolles Heimspiel
Ines Geipel las im Wist-Literaturladen aus ihrem neuen Roman „Heimspiel“
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Ines Geipel las im Wist-Literaturladen aus ihrem neuen Roman „Heimspiel“ Tischdecke oder Nichtischdecke? Das ist zunächst die Frage. Eine ungewollte fröhliche Inszenierung am Dichtertisch des Literaturladens von Karsten Wist. Nichttischdecke! entscheidet Ines Geipel und stützt die Arme zufrieden auf den kahlen Tisch. Beginnt am Freitag sofort ihre erste Lesung aus dem soeben bei Rowohlt Berlin erschienenen Roman „Heimspiel“. Nach der Faction-Prosa „Amok in Erfurt“ wieder eine Fluchtgeschichte. Aus der Ich-Perspektive. Mit einer Abschiedsszene beginnend: „Morgen, sicher aber übermorgen ist alles vorbei. Dann sitzt ihr wie immer hier in diesem Haus, und ich bin dort... Der nicht anders könnende Mann, die kleine, sanfte Frau, die Tochter, noch immer in der Stotter-Phase, mit den eigenartigen Flecken auf der Haut. Das Haus auf der Höhe: die Klaviere, Akkordeons, Bratschen, Posaunen. Die hellen Streifen in der Tapete des Esszimmers, der Blick auf den Kirschbaum im Garten, das Eingesessene, Versunkene dieser Räume. Der Mann ist selten da, seine Präsenz auch unnötig, er ist ohnedies immer anwesend. Die Frau ist zwar da, doch üblicherweise abwesend. Die Tochter lebt im Internat und kommt selten. Wenn sie kommt verheddert sie sich in den Regeln, dem Schweigen, den Blicken den Sätzen – in all dem, was so kursiert. Heimspiel.“ Die Figuren, das Interieur, das Motiv sind sogleich vorgestellt. In dem neunteiligen Roman werden die Zeiten und Orte zwischen Dresden, Budapest, Pecs, Riga, Berlin „aufeinandergeschoben“, „übereinandergelegt“ und „zusammengebacken“. Auf dem Fluchtweg über Ungarn nehmen die Worte den Zuhörer „an die Hand“, führen zu der Stadt am Meer. Da ist die eine Großmutter noch ein Kind. Flüchtet aus dem Haus der Eltern an das zugefrorene Haff zu den blinkenden Eissegeln. „Maiga, maja!“ ruft die sächsische Großmutter, als sie das Kind in die Arme nimmt, und „die Worte wie Herzformeln klingen“. Die Großmutter erzählt dem Ich-Kind immer wieder, wie ein einziger Blick des feisten Königs sie lebenslänglich adelte. Eine Lehrerin erklärt den Schülern die Straßen des Kommunismus im Kosmos: „Sputnick, Luneck und Wostock.“ Da kann das Mädchen die unglaubliche Geschichte ihres eigenen Raumschiffs erzählen. Leika, Leika! Funkt es in den hilflosen Raum. In einer Erdhöhle. In das es vor den gewalttätigen sexuellen Übergriffen des betrunkenen Vaters flieht. Wo es aus dem verletzten Bauch einen Käferfriedhof macht. Bis die stockenden Worte wieder fließen können. Für kurze Zeit. Bis das Mädchen einen weiteren Käfer knacken muss. Im ungarisch-deutschen Grenzgebiet endet der Roman: „Die Landschaft, die sich zeigte, liegt noch still, wie unter Folie verpackt.“ Auf der Hand der Ich-Erzählerin tanzt ein schillernder unversehrter Käfer. Mit den Augen sucht das Ich jedes zerbrechliche Detail an ihm ab, bis der Blick später weiter „in die Landschaft dahinter“ geht. Aus den Bruchstücken der Wirklichkeiten webt Ines Geipel spielerisch leicht Wortteppiche, die so bunt sind wie der „ewig wandernde Blumenteppich“ der Mutter. Die vielen unterschiedlichen Wirklichkeiten formen eine Poetik, die phantastisch und wundersame erscheint. Selbst als der prosaische DDR – Alltag wiederaufersteht. Mit Hurrarufen am Ersten Mai. „Hoch die! – Zum Wohle der!“ Eine Poetik, die ihr Geheimnis nie ganz Preis gibt. Barbara Wiesener
Barbara Wiesener
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