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Lässt den Irren auf die Straße. Regisseur Nick Baker-Montey.

©  Manfred Thomas

Kultur: Gehen für den guten Zweck

Filmgespräch mit Nick Baker-Montey im Thalia

Stand:

Wenn „Lola rennt“, so Julian noch lange nicht. Dafür läuft er und läuft und läuft, von Berlin bis nach Stuttgart, wie sein unbekanntes Vorbild Werner Herzog es einst tat. Diesen trieb es zwar nicht vom Nordpol zum Südpol zu Fuß, wohl aber von München nach Paris, und alles um eines Benefiz-Gedankens wegen. Denn 1973 wanderte der Regisseur Herzog in 22 Tagen von München nach Paris, um die kranke Filmkritikerin Lotte Eisner zu besuchen. Darüber schrieb er das Buch „Vom Gehen im Eis“. Die Rechnung ist einfach: Wer läuft, der pilgert, wer pilgert, der heilt – durch die Energien seines Laufens ins Ferne. So Julian auch, der eherne Held in Nick Baker-Monteys Spielfilm-Debüt, das ab Donnerstag unter dem Titel „Der Mann, der über Autos sprang“ mit vierzig Kopien in die deutschen Lichtspielhäuser geht. Am Sonntag war im großen Saal des Thalia Filmtheaters schon mal Vorpremiere, gut zwanzig Leute kamen.

Die Story, um die es hier im Wortsinne geht, macht einen herrlich unordentlichen Eindruck: Der ewig lächelnde, völlig in sich selbst ruhende Julian (Robert Stadlober) entfleucht am hellerlichten Tag einer psychiatrischen Anstalt in Berlin-Mitte, um eine Schuld an seinem Freund abzutragen. Julian brachte dessen Sohn David durch einen Unfall ums Leben, was beim Vater zu einem Herzschaden führte. Durch eigene Lauf-Energie will Julian sich nicht nur entschulden, er will auch fernheilen. Und läuft und läuft, bis die Ärztin Ju (Jessica Schwarz) mit ihm läuft, sie braucht halt gerade eine Auszeit. Ruth (Anna Schudt) verläßt sogar Mann und Kinder, um ein bisserl mitzutraben. Nur der leicht depressive Kriminalkommissar (Martin Feifel), die einzige interessante Figur, fährt in seinem Klapper-Mercedes, er muß Julian wieder einfangen, sonst fliegt er, droht sein Chef. So laufen sie also und laufen bis vor die Tore von Stuttgart.

Regisseur und Drehbuchautor Nick Baker-Monteys ist ein 1964 in Berlin geborener Engländer. Er wuchs unter anderem in Schweden und Kenia auf, studierte dann in Schottland, bevor er sich just 1990 in die marode Stadt Potsdam verliebte. Bis 1998 lebte und arbeitete er in Berlin, von da an in Potsdam, welches er „Traumstadt am Rande von Berlin“ nennt. Dort war er als Drehbuchautor, Regisseur, Script Consultant und Dozent tätig. Nun aber, wo man ihn hier gerade erst entdeckt hat, will er zurück in die Metropole. Das hängt, sagt er am Sonntag im Filmgespräch, ein bisschen von den letzten Erdentagen seines Hundes ab.

Mit „Der Mann, der über Autos sprang“ wollte er keinen philosophischen Film machen, auch wenn ihm die Lebensart der Buddhisten gefällt; er drehte sogar mal eine Dokumentation über den Lamai Dama. In seinem Erstling springt da allerdings lange Zeit nichts, man geht lieber, auch über glühende Kohlen, die einem wie Julian natürlich nichts antun. Erst zuletzt wagt der ewige Grinser den Sprung über ein auf ihn zurasenden alten Klapper-Mercedes. Fahrer: sein Verfolger. Alle sind beeindruckt, werden dann aber in ihre alte Ordnung zurückgeführt. Der stoppelbärtige Kommissar (ihm wächst bei der Verfolgung wenigstens Bart!) lässt sogar den ephemeren Autohopser in offener Landschaft frei. Letztes Bild ist dessen Faust mit dem aufwärts gerichteten Daumen. Victory für den Benefiz-Pilgrim!

Übrigens hat alles Gelatsche nicht viel genützt, Julians energetische Zielperson bekam erneut einen Infarkt. Der Zuschauer bekommt keinen, obwohl man ihm eingangs suggeriert, der Geist sei die höchste Entwicklungsstufe der Materie. Esoterik bleibt in diesem Opus fast immer nur Exoterik, wie Julians weißes Hemd selbst nach wochenlangem Fußmarsch keinen Schweiß kennt. Er zeigt niemals Mühsal – und das Publikum hat keines mit ihm. Eine totale Kopfgeburt also, aber welcher Debütfilm wäre denn schon perfekt! Gerold Paul

Gerold Paul

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