Kultur: Gelb ist die Ringelblume
Bei Ökomedia im Filmmuseum: „Am Arsch der Welt“
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Bei Ökomedia im Filmmuseum: „Am Arsch der Welt“ Es müssen schon besondere Menschen sein, die sich freiwillig in Ostvorpommern niederlassen. Selbst Bürgermeister Matthias Andiel hatte das Gebiet um Pulow, irgendwo zwischen Wolgast und Anklam gelegen, einst öffentlich als „Arsch der Welt“ bezeichnet. Damit hatte er die Situation seiner entvölkerten Gemeinde auf den Punkt gebracht und zugleich erkannt, was fehlte: Neue Bewohner. Und diese kamen. Eine von Johannes Heimrath angeführte 16-köpfige Gruppe ließ sich 1997 im Ortsteil Klein-Jasedow nieder. Der Dokumentarfilm „Die Siedler – Am Arsch der Welt“, im Rahmen des vom Naturschutzbund NABU organisierten „Ökomedia Filmfestivals“ im Filmmuseum zu sehen, zeigt die ersten Früchte ihrer Aufbauarbeit im „Wilden Osten“. Mit seinen verschnörkelten Zwischentiteln und dem „Lied vom Tod“ als Tonbeigabe an einen Western erinnernd, erzählt er die Geschichte dieser „Siedler“ im tiefen Osten. Doch wer eine Kolonie am Rande des Existenzminimums erwartet, hat sich getäuscht. Aus den heruntergekommenen Behausungen auf dem Gelände einer ehemaligen LPG haben sich ansehnliche Heimstätten entwickelt. Helle Räume und mondäne Dachzimmer prägen den vom Film vermittelten Eindruck. Kombiniert mit der reizvollen Landschaft am Meer lässt sich“s hier aushalten. Trotz der Abgeschiedenheit leben die Siedler nicht hinter dem Mond. Moderne Computer prägen das angegliederte Großraumbüro, in dem Medienerzeugnisse und Marketingartikel für die Produkte aus der zugehörigen Landwirtschaft hergestellt werden. Man wähnt sich einer großstädtischen PR-Agentur im Herzen der Natur. O“ wie schön ist Klein-Jasedow. Doch zu jedem Western gehören auch Schurken. Und die sind schnell ausgemacht. Neben den Großagrariern, vornehmlich alte Stasi-Leute, sind dies vor allem „Einheimische“, die die Eindringlinge gern wieder loswürden. Der Film des zweifachen Grimme-Preisträgers Claus Strigl versäumt es nicht, die Leute, die dahinter stecken, gehörig lächerlich zu machen und dabei ihre mediale Unterlegenheit unter Missachtung jeglicher journalistischen Verantwortung auszunutzen. Wüsste man nicht um die suggestive Kraft des Dokumentarfilms an sich – hier ließe sich ein Lehrbuch darüber schreiben: Ein als typische Spießbürger inszeniertes Ehepaar kommt immer wieder zu Wort. Schön vor dem spießigen Gartenteich und dem spießigen Rasen platziert. Und was für dummes Zeug die reden! Man kommt ja gar nicht aus dem Lachen heraus. Wer jemals am Schneidetisch saß, weiß, wie man so etwas macht. Dabei soll nicht in Abrede gestellt werden, dass man auf dem Land mitunter auf groteske Vorurteile stößt, noch dass Großlandwirte keine Rücksicht auf ökologische Landwirtschaft nehmen. Es ist nicht zu übersehen, dass hier Sinnvolles geschieht. Arbeitsplätze, auch für Einheimische, wurde geschaffen, der ökologische Landbau praktiziert und ein Umweltskandal publik gemacht. Das entbindet einen vorgeblichen Dokumentarfilm jedoch nicht von der Verpflichtung, weniger einseitig zu arbeiten. So hätte Heimraths Zeitschrift „Hagia Chora“ und die von ihr propagierte esoterische Strömung der „Geomantie“ ebenso wie die nicht geringen wirtschaftlichen Aktivitäten des Projekts thematisiert werden müssen. Johannes Heimrath, der nach eigenen Angaben inzwischen den zuständigen Sektenbeauftragten von seiner Redlichkeit überzeugen konnte, war am Montag im Filmmuseum, den wackeren – inzwischen ehemaligen – Bürgermeister Andiel, der nichts als das Wohl seiner Gemeinde im Sinn hatte, im Schlepptau. Auf die Frage, was „Geomantie“ sei, verwies Heimrath auf die zuständige Sektion in Potsdam. Weitere Erklärung oder kritisches Nachhaken seitens der Veranstalter: Fehlanzeige. Derweil leuchten Ringelblumen von der Homepage Pulows. Herr Heimrath hat die Internetpräsenz seiner Mitbürger in die Hand genommen. Sowohl derer, die ihn gut finden, als auch derer, die ihre Probleme mit ihm haben.
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