Kultur: Gelungene Normalität
Fotografien des jüdischen Zuwanderers Alexander Gurzhy in einer Ausstellung in der Bibliothek Am Stern
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Fast immer müssen Ausstellungen möglichst außergewöhnlich sein, um aufzufallen. Die Präsentation der Fotografien von Alexander Gurzhy in der Zweigbibliothek Am Stern hingegen ist bemerkenswert, weil die Normalität, die sie ausdrückt, das Besondere ist.
Die dreißig Fotoarbeiten, die ein sympathisches, liebenswertes Potsdam zeigen, stammen von einem jüdischen Zuwanderer, der seit seiner Ankunft 1995 Schritt für Schritt seine neue Heimat für sich erobern musste. Gurzhy tat das mit der Kamera, und so kann der Besucher diesen Prozess der Aneignung nachvollziehen. Jetzt ist der ehemalige Ingenieur, der 1937 in Charkov/Ukraine geboren wurde, für alle sichtbar an einem völlig unaufgeregten Ort gelandet.
Gurzhy und seine Familie – so die Ausländerbeauftragte der Stadt Potsdam, Magdolna Grasnick, auf einer kleinen Eröffnungsfeier im gerade renovierten Bibliotheksflachbau – sind demnach ein erfolgreiches Beispiel für gelungene Integration.
Es ist die erste Ausstellung eines jüdischen Zuwanderers an diesem Ort, weitere sollen folgen. Eigentlich eine naheliegende Idee, berichtet die Bibliotheksleiterin Elke Borgmann, weil das jüdische Zuwandererheim nicht weit ist. Der Keplerplatz im Stern hat es nicht leicht. Umgeben von Neubaublöcken ist es beinahe zwecklos, mit Begrünung und Bänken darum zu werben, dass man sich auf ihm länger als erforderlich aufhalten möchte. Und geht es um das reine Einkaufen, kann man sich gegen das Sterncenter schon vorab geschlagen geben.
Umso erstaunlicher ist es, dass mehr als dreißig Gäste in die Stadtteilbibliothek gekommen sind, darunter Vertreter des Stadtkontors, des Nachbarschaftstreffs, der Bürgerinitiative und jede Menge jüdische Zuwanderer.
Die Gurzhys konnten, wie viele der in Potsdam wohnenden jüdischen Mitbürger, die Ukraine als jüdische Zuwanderer verlassen. „1994 war die schlimmste Zeit für uns Juden in der Ukraine“, erinnert sich Frau Gurzhy. Mit der Heimat habe man jeden Kontakt abgebrochen. „Wir haben die Entscheidung auszuwandern mit kühlem Kopf getroffen“, sagt sie. Weshalb sich so etwas wie Sehnsucht gar nicht einstelle. Davon sei auch nichts in den Aufnahmen ihres Mannes zu finden. Seit der Geburt der Enkeltochter vor zwei Jahren lebt man schon mit drei Generationen hier. Sohn Jury ist bekannter Musiker und Rundfunk-Journalist und arbeitet mit Wladimir Kaminer zusammen, die Tochter studiert Sprachen.
„Altmodisch“ fotografiere ihr Mann, mit einer analogen Spiegelreflexkamera, dolmetscht seine Frau für ihn. Eigentlich versteht er, den alle Sascha rufen, ganz gut Deutsch, aber fast scheint er zu schüchtern, um seine neue Heimatsprache auch zu sprechen.
Potsdam, so findet er, sei besonders fotogen. „Ich entdecke jeden Tag etwas Neues“, sagt er. Es sind aber nicht die Menschen der Stadt, denen sein Interesse gilt. Vielleicht ist er dafür ein zu stiller Typ. Auf seinen Bildern zeigt er sich als jemand, der seinen Blick zunächst lange ruhen lässt, jemand der genau hinschauen möchte. Er sucht das Heitere im Detail, dem er oftmals einen lustigen Bildtitel mitgibt. Die Steinfiguren am Brandenburger Tor, die so aufgenommen wurden, als ob sie die Ampel bedienen würden, eine Putte im Park Sanssouci, die einen Ball und zugleich ein Buch unter den Armen trägt, und der Gurzhy „Die Qual der Wahl: Wissenschaft oder Fußball“ betitelt, oder die dicke Schneedecke auf einem Caféhaustisch, die er mit den Worten „Heute wird Schnee serviert“ kommentiert.
Den Bildern von Sascha Gurzhy sieht man an, dass er schon immer davon geträumt hat, in einer so schönen, so freundlichen und so geheimnisvollen Stadt zu wohnen. Er fühlt sich ganz offensichtlich wohl hier.
Also eine ganz gewöhnliche Ausstellung? Nicht ganz. Damit möglichst viele Passanten etwas von Gurzhys sympathischer Lebenseinstellung mitbekommen, ist der größte Teil der Bilder in den Schaufenstern der Bibliothek sehr gut von außen zu betrachten.
Zu sehen bis Ende Februar in der Zweigbibliothek Am Stern.
Matthias Hassenpflug
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