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Kultur: Genauer hinschauen

Der Film „Netto“ von HFF-Student Robert Thalheim in der Reihe „Leben ohne Arbeit“ im Filmmuseum

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Der Film „Netto“ von HFF-Student Robert Thalheim in der Reihe „Leben ohne Arbeit“ im Filmmuseum „In den Döner- und Asiabuden am Prenzlauer Berg hatte ich einige Begegnungen mit Männern im mittleren Alter, die nach der Wende ins Straucheln kamen und nicht mehr hochgekommen sind“, erzählte Robert Thalheim. Der 30-jährige sprach Ende vergangener Woche im Anschluss an die Vorführung seines Filmes „Netto“ im fast halb vollen Filmmuseum mit Lothar Bisky über die Entstehungsgeschichte des Streifens. „Ich wollte einfach mal genauer hinschauen“, sagte er. Dazu kam die Aufforderung des Regisseurs Rosa von Praunheim, in dessen Filmseminar der HFF-Student Robert Thalheim saß: „Wenn ihr wirklich Filmemacher sein wollt, dann müsst ihr raus und was machen.“ Aus dieser Filmübung im dritten Studienjahr entstand 2003 ein abendfüllender Kinofilm, der dieses Jahr beim Max-Ophüls-Filmfestival den Förderpreis und bei der Berlinale den Preis „Dialogue en perspective“ erhalten hat. Es geht um den arbeitslosen Marcel Werner (Milan Peschel), der nach dem Mauerfall sich selbst überschätzende Geschäftsvorhaben verfolgte, die schließlich in Alkoholismus, zerbrochener Ehe und dann im Konkurs endeten. Doch plötzlich steht Marcels fünfzehnjähriger Sohn Sebastian (Sebastian Butz) vor der Tür. Seit zwei Jahren haben sie sich nicht mehr gesehen, Sebastian war bei der Mutter (Christina Grasse) geblieben. Marcel erzählt, dass er in der Branche Personenschutz „was ganz Dickes am laufen“ habe. Nach und nach erfährt Sebastian die Wahrheit: Arbeitslosigkeit, keinerlei Kontakte, keinerlei Aussichten. Dafür hat der Vater Zeit für Spiele, geht auf seinen Sohn mit Interesse ein und dreht die Musik seines Sängeridols laut auf: „Zwischen Feuer und Eis, drehen wir uns im Kreis...“ Country von Peter Tschernig, dem „Johnny Cash des Ostens“. Zum Schluss des Filmes trifft Marcel sein Idol auf der Brücke zwischen Wedding und Prenzlauer Berg. Zwei Wendeverlierer erkennen sich und die Situation – und lächeln. Besonders stolz sei er darauf, dass Peter Tschernigs Greatest Hits-Album aufgrund des Filmes neu aufgelegt wurde, berichtet Robert Thalheim. Vielleicht gelingt das Comeback, wenn „Netto“ ab dem 5. Mai in den Kinos läuft und ein breites Publikum Tschernigs Musik (wieder)hört. Der von der Rosa-Luxemburg-Stiftung Brandenburg zum Gespräch hinzu geladene Lothar Bisky (PDS-Vorsitzender, ehemaliger Rektor und zur Zeit beurlaubter Professor an der HFF) sieht in dem Film die Fortführung der „Babelsberger Schule“: „Der Film zeigt merkwürdige Figuren, ohne sie zu denunzieren. Er beobachtet einfache Menschen des Alltags und versucht, das Interessante an ihnen zu entdecken.“ Zudem gefalle es ihm, wenn sich junge Filmschaffende dem schnellen Geld und Ruhm des Mainstreams und den seichten Geschichten des Fernsehens, die immer weniger mit der Realität der meisten Menschen zu tun hätten, entzögen. Das Fatale sei ja, dass kaum jemand Arbeitslosigkeit zeige und dass wir unsere Kinder so erzögen, als lebten wir in einer Welt, in der man nur eine anständige Bewerbung mit glänzendem Lebenslauf vorweisen müsse, um einen Job zu bekommen. Von der frühen Film-Idee einer Szene im Netto-Supermarkt gibt es nur noch eine Netto-Tüte im Hintergrund. „Netto“ ist das, was am Ende übrig bleibt. Dagmar Schnürer

Dagmar Schnürer

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