Kultur: Generation „Peanuts“
Gar nicht so schöne Globalisierungswelt im Hans Otto Theater
Stand:
Er ist eine tragische Figur, dieser Buddy, der auf eine Wohnung aufpassen soll, die aber bald von Freunden und Freunden der Freunde besetzt und verwohnt wird. Buddy (Jan Büchner) kann nichts dagegen machen, er ist nämlich entscheidungsschwach und gutmütig wie Charlie Brown aus den Peanuts von Charles M. Schulz. Doch so sympathisch und liebevoll, wie wir das von dem Original-Charlie-Brown gewöhnt sind, kommt dieser Buddy im Theater nicht daher.
Was im ersten Teil des Stückes „Peanuts“ von Fausto Paravidino am Samstagabend im Hans Otto Theater noch irgendwie nur leicht unangenehm wirkte, offenbarte in der zweiten Hälfte sein gesamtes grausames Potential. Da nämlich wurden die ehemaligen Cliquenfreunde zum Häftling oder zum Bullen.
Fausto Paravidino, 1976 in Genua geboren, schrieb das Stück „Peanuts“ nach der Globalisierungsdemonstration in Genua, als die Stadt eingekesselt war. Die verhafteten Demonstranten wurden im Gefängnis von Bolzaneto gefoltert und waren gemeinsten Späßen ausgesetzt. Noch heute laufen die Prozesse. Fausto Paravidino aber hat keine einfache Täter-Opfer-Geschichte geschrieben, sondern eine Auseinandersetzung mit seiner Generation, der „Peanuts-Generation“, in deren Scheu vor dem Erwachsenwerden er viele Ursachen für gesellschaftliche Missstände sieht.
Seine an die Comicserie angelehnten Figuren lässt der Autor im ersten, harmlos-offen wirkenden Wohnungsbesetzerstück, das 1991 spielt, noch kindlich sprechen und spielen, im zweiten Teil allerdings geht es hinter den Gitterstäben im unteren Bühnenbereich brutal zur Sache.
Zuerst aber dringen die Jugendlichen in die Wohnung ein, und Buddys Schultern resignieren. Ein weißes Sofa auf der Empore genügt als Einrichtung; die mediengeprägten Kids schleppen kistenweise Cola an, werfen Popcorn und schauen gewaltig viel fern: Cindy im blauen engen Kleid weiß immer alles genau und richtig, schon die Stimme von Ulrike Haase duldet keinen Widerspruch. Das Mädchen (Hanrike Janssen) dagegen, mit dem Buddy sich eigentlich allein treffen wollte, rollt die Augen und trägt Blümchenkleid naiv. Aus ihr wird später natürlich die, die es ihrem Polizei-Chef auch im Bett noch mädchenhaft macht. Minus ist eine eher blasse Figur (Peter Scholz), hält sich meist raus und an seiner Schmusedecke fest.
Das wird ihm als Demonstrant später zum Verhängnis, denn auch da will er keinen Streit („Ich habe nichts gesehen“) und wird dafür mit dem Tode bestraft. Silly bewegt sich mit wedelnden Armen und trägt Punktekleid (Alissa Gilmutdinowa), sie wirkt als Gefangene menschlich und mutig – wenigstens eine Identifikationsfigur. Woodstock (hier: Woodschlock) im gelben Flauschumhang und hüpfenden Schritt, als Jugendlicher (Friederike Schäfer) noch lakonischer Philosoph mit Sprüchen: „Wir können daran wachsen“ – wird zu einem der brutalsten Schläger unter den Polizisten. „Plutokratie“ oder „Gesetz des Marktes“ signalisieren Schlagworte der Globalisierung, die Episoden in der Wohnung übertiteln; „Entschuldigungen“ oder „Heiteres Zwischendurch“ lauten die Titel der Gefängnisepisoden.
Aber heiter war es da unten dann nicht mehr – da wurde geschlagen, „VER-ANT-WOR-TUNG“ gepredigt, gestorben und auf sarkastisch-zynischen Befehl der Aufseher Tiere nachgeahmt. Bei „Mach das Känguru“ kommen von Janine Schäferhoff nur lahme Sprünge am Gitter.
Die Inszenierung unter Leitung von Manuela Gerlach und Enno Hartmann ließ das leicht angekitzelte Lachen oft im Halse gefrieren. Vor allem, als der Sohn der Hausbesitzer (Bob Schäfer) noch ganz jugendlich, selbstversunken-genial daherkommt, aber als Erwachsener dann die komplette Einsatztruppe zur Brutalität anleitet. Am meisten aber leidet man an Buddys Entscheidungsschwäche, die ihn zum totalen Feigling und zum Mörder macht. Paravidino hält seiner Generation einen brutalen Spiegel vor – der vom HOT Jugendtheaterclub überzeugend auf die Bühne gebracht wurde.
Erneut zu sehen am 17. Juni, 19.30 Uhr, Reithalle A
Lore Bardens
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