Kultur: Genüssliche Gehässigkeiten
„Im Garten vorgelesen“: Heinrich Heines „Harzreise“ im Foersterschen Senkgarten
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Die Kultur von Pulsatilla alpina subsp. alba, auch Brocken-Küchenschelle genannt, sei ausgesprochen heikel, verkündet die Fachliteratur. Ist dies der Grund dafür, dass man sie im üppig blühenden Hausgarten von Marianne Foerster nicht zu erblicken vermochte?! Was eigentlich schade ist, denn sie hätte der auszugsweisen Vor-Lesung der Heinrich Heineschen „Harzreise“ – bis hinauf zum Brocken – das florale Sahnehäubchen sein können.
Trotz ausgiebigen Umschauens im legendären Foersterschen Senkgarten in Potsdam-Bornim: die Suche nach der blauen Blume der Romantik hätte nicht intensiver und vergeblicher ausfallen können. Zwischen zweifarbigen Spinnenpflanzen, weißblühendem Ziertabak, violetter Verbena bonariensis, blaublütigem Agapanthus, zitronengelber Hemerocallis, dotterfarbenen Sonnenhüten, Kandelaber-Ehrenpreis mit hineingewebten Phloxen ist die Rarität nicht zu entdecken. Das negative Ergebnis schien die Liebhaber der Urania-Reihe „Im Garten vorgelesen“ nicht zu verdrießen, konnten sie sich doch an so mancher Pflanzenbeschreibung aus der Heineschen Edelfeder erfreuen.
Als Vermittler stellte sich ihnen Klaus Büstrin am Sonnabend und Sonntag zur Verfügung, der zum wiederholten Mal den idyllisch gelegenen und historisch geprägten Vorlesungsort mit weicher, modulationsreicher und tontechnisch verstärkter Stimme zu füllen verstand. Nach emphatischer „Reiseleiter“-Begrüßung („Lebet wohl ihr glatten Säle die Berge will ich schauen“) meldete sich zunächst eine illustrativ geprägte Musik zu Wort, die mit Andante und Rondeau von Gaetano Pugnani (1731-1798) zartfühlende Klänge in die mildleuchtende Abendstimmung entsandte. Christiane Hoch (Flöte), Karin Liersch (Violoncello) und Brigitte Breitkreuz (Gitarre) musizierten diese und andere von ihnen ausgewählte Piecen mit sehnsuchtsvollem Ton. Später erklangen zwei Lieder ohne Worte von Felix Mendelssohn Bartholdy, die mit ihrem getragenen Duktus jedoch nicht so recht in die Texte passen wollten.
In jenen machte der Spötter Heinrich Heine seinem Ruf alle Ehre. Die Universitätsstadt Göttingen habe nach Ansicht des damals 26-jährigen Dichters und Jurastudenten ein „altkluges Aussehen“, sei zudem berühmt durch Würste und 999 Feuerstellen. Ironischen Stadt- und Lebensbeschreibungen folgt triefender Spott über die ältliche Damenwelt, was Klaus Büstrin veranlasste, die Heineschen Gehässigkeiten sprachgenüsslich auszukosten. Dies wiederum veranlasste einige Zuhörerinnen (aus Göttingen), unter Protest in der Pause zu gehen. Ein wahrlich treffsicherer Dichter, dem anlässlich seines diesjährigen 150. Todestages nichts Reaktionsbesseres widerfahren konnte.
Auch auf den weiteren Wanderstationen Goslar und Quedlinburg bekommt das deutsche Wesen gar manchen kräftigen, vom Publikum lauthals quittierten Seitenhieb ab. Der beschwerliche Aufstieg zum Brocken, eingeleitet von einem passenden Ländler von Anton Diabelli (1781-1798), findet seinen Niederschlag in sehr poesievollen Worten. In sie von den boshaften und hämischen Anmerkungen umzuschalten, um ihren quasi lyrischen Legatolinien nachzuspüren, gelingt Klaus Büstrin nicht immer überzeugend genug. Da wirkt der betont freundliche Grundton mitunter unkonzentriert, wie von innerer Spannung entpflichtet. Um im orgelmusikalischen Bilde zu bleiben: im Bemühen um stimmliche Abwechslung registriert er zu viel.
Von der imaginären Harzreise scheinen sich mancherlei Vögel gestört zu fühlen: erst schwatzen die Stare (über das trübsinnige a-Moll-Pastorale von Carl Philipp Emanuel Bach?), dann schimpfen zwei Amseln. Wollen sie sich über die traurige Schumann-Adaption des Liedes „Wenn ich ein Vöglein wär“ beschweren?! Mit dem ergötzlichen Stück „Alla polacca“ von Ferdinando Carulli (1770-1841) setzt sich der musikalisch-literarische Ausflug sein leider ziemlich abrupt hereinbrechendes Ende. In den herzlichen Beifall mischt sich die Erkenntnis, dass man getrost wieder einmal zur Heineschen „Harzreise“ greifen sollte.
Peter Buske
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