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Kultur: Gequietschte Leidenschaft

Elektronischer Indie-Pop vom Jeans Team im Waschhaus

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Die CDs vom Jeans Team eignen sich äußerst schlecht als Musik zum Autofahren. Da schnarrt es in den Songs, als ob sich die Reifen lösen, es scheppert wie ein Auffahrunfall und quietscht wie ein unter die Räder gekommenes Tier. Der aktuelle Longplayer „Kopf auf“ hat diese akkustischen Verwechslungen ein wenig eingeschränkt und setzt auf vermehrten Einsatz der guten alten Akkustikgitarre. Beim Live-Genuss braucht sich der Hörer darum eh keine Sorgen machen und so konnte man sich im Waschhaus entspannt fragen, welche der zahlreichen Arschwackler es ins Set geschafft haben.

Zuerst dürfen noch Sister Love versuchen die Aufmerksamkeit des Publikums von der Bierflasche auf die Bühne zu lenken. Dieser Aufgabe nimmt sich vornehmlich Sängerin Tiz an. Im roten Kleid macht sie sich und den Elektro-Rock ihrer Band Sister Love den Zuschauern schmackhaft. „Tanzen wäre eine gute Idee“, spornt sie das Publikum an, das ein weiteres Bier ebenfalls für eine gute Idee hält und die Show höflich aber unaufgeregt entgegennimmt. Schon mit den ersten Tönen des Jeans Team ist es vorbei mit dieser Entspanntheit. Wie ein grotesk-kitschiger Kraftwerk-Abklatsch kommen Franz Schütte, Reimo Herfort und Henning Watkinson auf die Bühne und machen sich an ihren Synthesizern und Samplern zu schaffen. „Silizium“ brabbelt Herfort repetierend ins Mikrofon, während hinter den Dreien der markante Jeans Team – Schriftzug in leuchtenden Lettern blinkt und große Neon-Sterne am Bühnenrand blitzen. Ohne Pause geht es vom industriellen Großstadtsound zur Ode an den Landwirt: „Oh Bauer“ vibriert durch den Saal wie ein musikalischer Herzschrittmacher und die ersten Reihen sind vom epileptischen Tanzfieber des Sängers schon angesteckt. Natürlich fehlt auch die Anti-Hymne des vergangenen Jahres nicht. Bei schummrigen Licht und in bester Pfandfinder-Manier singen Herfort und Schütte: „Kein Gott, kein Staat, keine Arbeit, kein Geld!“ – und die Potsdamer singen „Das Zelt“ brav mit.

Zum Glück hat die musikalische Zitate-Polizei ihren freien Tag, denn was das Jeans Team hier zusammenträgt, passt auf keinen 80er-Jahre-S ampler. Die Neue Deutsche Welle wird gnadenlos ausgeschlachtet und mittels der eigenwilligen Friemel-Technik der Band von ihrem abgestandenen Image befreit. Das Jeans Team macht sich nicht über die Musik lustig, sondern ehrt sie und bringt sie mit quietschender Leidenschaft zurück an die Pop-Oberfläche. Dabei dürfen sich Herfort und Schütte live an den Knöpfen austoben, bis die Synthies glühen. Meist knarzt Schütte sich durch die Oktaven und Herfort tanzt dazu wie ein Irrer. Watkinson ist für solide Gitarrenbegleitungen zuständig und muss Kollege Schütte zurückhalten, wenn der mal wieder den Takt nicht halten kann, was eher amüsant als peinlich ist.

Nach dem elektrischen Trash-Pathos, der mit „Keine Melodien“ seinen stimmungsmäßigen Höhepunkt findet, übt sich das Jeans Team zum Abschluss des Konzertes in musikalischer Bescheidenheit gepaart mit einem universellen Ratschlag: „Segel dein Schiff in einen sicheren Hafen. Das Schönste was du machen kannst im Leben ist Schlafen.“ Mit diesen nachdenklichen Worten wird man doch gern vom Konzert auf den Weg ins Bett geschickt. Christoph Henkel

Christoph Henkel

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