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Kultur: Gerechtigkeit

Michael J. Sandel spricht im Einstein Forum

Stand:

Ist es in Ordnung, wenn Dachdecker nach einem Sturm den Preis für Reparaturen drastisch erhöhen? Warum gilt es als unmoralisch, Leihmütter für das Austragen eines Kindes zu bezahlen? Darf ein Soldat einen Schäfer erschießen, der seinen Spähtrupp an die Taliban verraten könnte, und damit das Leben von vielen Kameraden retten? Ist es vertretbar, wenn Autofahrer gegen Gebühr auf den schnellen Busspuren fahren dürfen oder wenn Gefängnisinsassen einen Upgrade für eine komfortablere Zelle erwerben dürfen? Mit konkreten Fragen wie diesen bringt Michael J. Sandel, Professor für politische Philosophie an der Universität Harvard, seine Studenten zum Nachdenken. Der Andrang zu seiner seit zwei Dekaden stattfindenden Vorlesung mit dem schlichten Titel „Gerechtigkeit“ ist nach wie vor so groß, dass jedes Jahr 1166 Interessierte ausgelost werden, genau so viel, wie in das Sanders Theatre in Harvard passen. Dort doziert Michael J. Sandel nicht einfach, sondern er bezieht seine Zuhörer mit ergebnisoffenen Fragen mit ein – Mikrofone wandern stets herum – , ein Versuch, das antike Modell des philosophischen Gesprächs wieder neu zu beleben. Denn für ihn ist klar, dass moralische Reflexionen nicht einsam im Denker-Kämmerchen ablaufen können, sondern mit aktuellen gesellschaftlichen Themen verbunden werden müssen. Spätestens seine in viele Sprachen übersetzten Bücher „Was man für Geld nicht kaufen kann“ und „Gerechtigkeit“ machten aus Michael J. Sandel einen Star des philosophischen Fachs, das in jüngster Zeit auch an deutschen Universitäten zunehmend nachgefragt wird.

Am heutigen Dienstag kommt der 60-jährige Nordamerikaner in das Potsdamer Einsteinforum, um dort den einzigen Vortrag in Deutschland zu halten. Eine seiner Thesen lautet, dass aus einer Gesellschaft, er spricht von den USA, die eine Marktwirtschaft hatte, inzwischen selber eine Marktgesellschaft geworden ist. Die weltweite Resonanz, die er gerade bei jungen Menschen erfährt, zeigt, dass an den Fragen der Moral großes Interesse besteht. Dass diese Themen in der politischen Diskussion zuletzt nur noch ein Randdasein gefristet haben, ist für Michael J. Sandel ein klares Ergebnis des marktkonformen Denkens. Er kritisiert, dass das kapitalistische Denken eine absolut neutrale Einstellung gegenüber Werten aller Art hervorgebracht hat. Das Konzept der Konsumfreiheit habe nicht nur soziales Handeln und zwischenmenschliche Beziehungen beeinflusst, sondern auch den öffentlichen Raum von moralphilosophischen Begriffen entleert, wie dem des guten und richtigen Lebens. Sandels Argumentation knüpft bei klassischen philosophischen Traditionen an, von Aristoteles und Platon bis hin zu Aufklärern wie Jean-Jacques Rousseau und zu Immanuel Kant, dem sein spezielles Interesse gilt, sowie englischen Philosophen des 18. und 19. Jahrhunderts. Babette Kaiserkern

Michael J. Sandel spricht am heutigen Dienstag um 19 Uhr im Einstein Forum, Am Neuen Markt 7

Babette Kaiserkern

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