Kultur: Gerechtigkeit erfreut den Weisen
Vortrag eines Havard-Professors anlässlich des zweiten Bandes der Potsdamer Leibniz-Edition
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Vortrag eines Havard-Professors anlässlich des zweiten Bandes der Potsdamer Leibniz-Edition „Was ist Gerechtigkeit?“ Diese Frage haben sich vor Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) viele Philosophen gestellt – und deren teils sehr unterschiedliche Antworten hat Leibniz gekannt und für seine eigenen Vorstellungen miteinbezogen. Dies beweist nicht zuletzt der neue Band Fünf der Reihe Politische Schriften der Leibniz-Akademie-Ausgabe, der seit der vergangenen Woche vorliegt. Es ist der zweite Band, der unter der Leitung von Dr. Hartmut Rudolph in der Potsdamer Editionsstelle anhand der Original-Manuskripte des bedeutensten deutschen Philosophen vor Immanuel Kant heraus gegeben wurde. Anlässlich des in diesem Band neu zugänglichen Leibniz-Materials hielt Professor Patrick Riley von der Harvard-Universität einen Festvortrag: „Was ist Gerechtigkeit – Eine Antwort vor dreihundert Jahren auf eine aktuelle Frage.“ Leibniz war Doktor der Jurisprudenz, er diente mehreren europäischen Herrschern als Rechtsberater. Ausdrücklich lobt Riley daher, dass die Potsdamer Editoren den Abschnitt „Rechtswesen“ an den Anfang des neuen Bandes gestellt haben. Das entscheidende Dokument der Leibniz''schen Rechtsauffassung in diesem Band „ist eindeutig die großartige Praefatio (Vorwort) zum Codex juris diplomaticus, also dem Codex der Urkunden des Völkerrechts von 1693“, so Riley. Sie enthalte Leibniz“ erste Stellungnahme zu seiner Definition der Gerechtigkeit als „caritas sapientis seu benevolentia universalis“, Gerechtigkeit als „die Liebe des Weisen, das heißt, als die universale Güte, das alles umfassende Wohlwollen“. Zum ersten Mal seit 1768, seit über 200 Jahren also, ist diese Schrift in ungekürzter und noch dazu in kritisch-edierter Ausgabe der Forschung zugänglich, begeistert sich Riley. Darin sichtet Leibniz die ethischen Ansichten seiner geistigen Vorfahren, wendet sich gegen den einen, lobt den anderen und überschaut mühelos 2000 Jahre Philosophiegeschichte. Der von Cicero ( 106 v. Chr. – 43 v. Chr.) schon kritisierte Karneades von Kyrene (214 - 129 v.Chr.) kommt auch bei Leibniz nicht gut weg: Der geschmähte Altgrieche meinte, Gerechtigkeit sei die höchste Dummheit, weil sie gebiete, auf fremden Vorteil bedacht zu sein, unter Hintenanstellung des eigenen. Leibniz insistiert dagegen, so Riley in seinem Vortrag, auf die Grundidee Ciceros, nach der „wir glauben sollten, dass wir von Natur aus unfähig sind, den guten Sitten zuwider zu handeln“. Von Natur aus ist bei Leibniz gleichbedeutend mit von Gott aus. Theologie versteht Leibniz gleichsam „als eine göttliche Jurisprudenz“, indem sie das, „was unserer Gesellschaft als Recht gilt, im Zusammenhang mit Gott erklärt“. Gerechtigkeit definiert das Universalgenie nicht weltlich, wie Boddin oder Hobbes, als Recht des Souveräns (des Volkes, des Herrschers), sondern als „höhere“ oder „weise“ Liebe. Die legal-positivistische Gerechtigkeit eines Thomas Hobbes (1588-1679) sei für Leibniz lediglich eine Wiederaufnahme der berüchtigten Auffassung des Trasymachos (in Platons „Der Staat“), „dass Gerechtigkeit immer vom Interesse des Mächtigsten definiert werde“, so Riley. Das schwierige Problem, wie es eine nicht berechnende Liebe geben kann, abgetrennt von jeglichem Schielen auf den eigenen Vorteil, beantwortet Leibniz so: Wessen Glück uns erfreut, dessen Glück vermehrt unsere eigene Glückseligkeit; „denn was erfreut, wird um seiner selbst willen erstrebt“. Guido Berg
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