Kultur: Gerechtigkeit für Sadisten
Die Kriminalpsychologin und Schriftstellerin Lydia Benecke im Waschhaus
Stand:
Lydia Beneckes Thema ist kein geringeres als das Böse. Genauer: die Psychologie des Bösen. Und das weckt natürlich Gelüste. Wie von narkotischen Mächten verführt, strömen die Interessenten am Samstagabend ins Waschhaus, um es aus erster Hand zu erfahren: Was ist es denn nun – das Böse? Wo wohnt es in uns? Wo müssen wir mit dem Finger hinzeigen, um zu sagen: Da, da haben wir es erwischt.
Nicht nur Eingeweihten ist Lydia Benecke ein Begriff. Zuletzt schaffte sie es bis in die TV-Show von Stefan Raab, um über ihr neues Buch „Sadisten“ zu reden. Für bundesdeutsche Verhältnisse ein veritabler PR-Akt. Bereits zuvor berichtete sie als Co-Autorin ihres Mannes Mark Benecke „Aus der Dunkelkammer des Bösen“ und stieg in „Auf dünnem Eis“ allein in die Kammer des Grauens hinab, wo Serienmörder in aller Breite ihrer bestialischen Inszenierungen und Versteckspiele darauf warten, analysiert und dechiffriert zu werden. Mark Benecke – der Forensiker, der sich die Made genauer anschaute und seine Erfahrungen mit viel Talent für Entertainment unter die Leute bringt – betitelt sich gern schon einmal als bekanntester Kriminalbiologe der Welt. Und auch Lydia Benecke scheint genügend Chuzpe zu haben, um kundzugeben: Langweilen kann ich mich alleine, aber ich treffe eine Menge Leute, und das ist verdammt interessant.
Verschiedene soziale Gruppen leben von unterschiedlicher Ästhetik. Benecke trägt verschiedene Stile. An diesem Abend eine Art Lollipopkleid mit Blümchen. Die Haare rot gefärbt. Der blasse Teint. Auf ihrem Lesetisch sitzt in einer offenen Tasche Hermeline, ein siebenjähriges Kaninchen, das auf der Tour aufgewachsen und vorgeblich daran gewöhnt ist. Dahinter schimmert groß die Projektionsleinwand, auf der zur Einstimmung Comedy-Kurzfilme mit sado-masochistischem Hintergrund laufen. Im weitesten Sinne geht es in den folgenden zweieinhalb Stunden darum, einen Blick in das neue Buch zu eröffnen. Etwas enger gefasst erfährt man etwas über den ethischen Anspruch Beneckes, der nicht zuletzt darauf zielt, Sadisten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Und um zu verdeutlichen, dass Sado-Masochismus als normal und gesellschaftsfähig gelten sollte. Zumindest der gute.
Was im ersten Moment leichthin abstrus erscheint – Sadismus unter das Signum der Gerechtigkeit zu stellen –, leuchtet durchaus ein. Benecke arbeitet mit Bildern und Schemata. Zwischendrin macht sie gern Witze. Warum Frauen Pornofilme bis zu Ende anschauen – weil sie warten, bis geheiratet wird. Ansonsten geht es darum, Sadisten lesen zu lernen. Soll heißen, sie einzuteilen in die Typen „gefährlicher Sadist“ und „einvernehmlicher Sadist“. Einvernehmlich sind jene sogenannten BDSMer, deren Sexpraktiken ein Höchstmaß an gegenseitigem Vertrauen bedürfen und nur mit viel Wissen zu realisieren sind. Einvernehmlicher SM, in Beneckes Darstellung zumindest, gerät so geradezu zur kuscheligen Vernunftnummer, deren Insignien des Bösen – Leder, Handschellen – eine völlig harmlose Oberfläche konterkarieren, sofern das Protokoll eingehalten wird.
Nicht einvernehmlicher, also gefährlicher Sado-Masochismus, hingegen führt geradewegs zu den Mördern, den schlimmsten der Schlimmen. Jack the Ripper. Johann „Jack“ Unterweger. In ihrem neuen Buch explizit Ted Bundy, Dennis Rader und David Parker Ray. Das sind die sadistischen Sexmörder. Es gibt auch die anderen Sadisten, Hitler und Stalin etwa. Doch sie alle scheint ein- und dieselbe Geschichte zu einen: eine völlig verfehlte Kindheit. Zerrüttete Familien, Missbrauch, brutale Väter. Überhaupt sind es offenbar immer die Väter, die die Weichen für die Zukunft stellen.
Eigentlich will man nicht genau hinsehen. Aber Lydia Benecke tut es. Sie zeigt Fotos wie das einer von David Parker Ray gefesselten Frau. Nicht schön. Und die Frage keimt auf, was die Autorin antreibt, sich permanent damit zu beschäftigen. Die gebürtige Polin wuchs allein mit ihrer Mutter auf, kennt Auffanglager und Ausländerheime durch eigenes Erleben und ist nach eigenem Bekunden in einer Sozialwohnung eines „Ghettos“ im Ruhrgebiet aufgewachsen. Mit elf Jahren las sie „Das Schweigen der Lämmer“ und war davon fasziniert.
Zuweilen erhebt sich der Eindruck, als arbeite sie gegen ihre eigenen Dämonen. Sie ist studierte Kriminalpsychologin und betreut Schwerstverbrecher mit dem Anspruch, sie zu therapieren. Aus der bisherigen Erzählung wird deutlich, warum. Klare Erfolge sind zu verzeichnen. Sie setzt auf Wissen, Unvoreingenommenheit und Humor. Ralph Findeisen
Ralph Findeisen
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: