Kultur: „Gerütteltes Maß an Sinnlosigkeit“
Die rote Nase passt. Vielleicht als Erkennungszeichen seiner lyrisch-clownesken Gesinnung.
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Die rote Nase passt. Vielleicht als Erkennungszeichen seiner lyrisch-clownesken Gesinnung. Keck nach oben gerichtet, leuchtet das Riechorgan zwischen weißem Schnauzer und ebenso weißem Haarschopf, als der Satiriker und Zeichner F.W. Bernstein ans Lesepult der Villa Kellermann tritt. War es der vorher ausgeschenkte Rotwein oder hatte der Dichter eine Erkältung? Egal! Die rote Nase signalisiert in jeden Fall sein lyrisches Bekenntnis. „Erst kommt der Reim, dann der Sinn“, zitiert der 68-Jährige die Berliner Band „Cockbirds“. Ob es sich dabei um ein Zitat der jungen Punkrocker handelt, oder ob Bernstein darauf kam, nachdem er ihre Songs gehört hatte, ließ er offen. Wohl absichtlich, schließlich hatte Bernstein einen bekannteren Satz in Umlauf gebracht, der nur allzu oft der Anonymität zugeschrieben wird: „Die größten Kritiker der Elche, waren früher selber welche“.
In die Villa Kellermann war Bernstein als Gastleser in der Reihe „Narrenschiff“ geladen worden. Sebastian Brants deftige Verse aus der spätmittelalterlichen Moralsatire nutzte Bernstein, um in einen menschlichen, allzu menschlichen lyrischen Kanon einzustimmen, der ihn mit den namhaften Satirikern unserer Zeit verbindet. Gemeinsam mit Robert Gernhardt, Eckhard Henscheid, F.K. Waechter und Chlodwig Poth bildete Bernstein einst die legendäre „Neue Frankfurter Schule“, die ab 1979 das Satiremagazin „Titanic“ herausgab.
Ausgehend von den mittelalterlichen Tischsitten, mit vielen Versen, in denen sich „Schüssel“ auf „Rüssel“ reimte, schwenkte Bernstein in selbst Gedichtetes über, das er aus einem alten Hefter rezitierte und mit der beiläufigen Bemerkung versah: „Alles unveröffentlichte Sachen!“. Thematisch ging es zunächst um die Liebe, die körperliche im Speziellen. Nicht ordinär, vielmehr rhythmisch trug Bernstein das Gedicht von dem Herrn, der Magd und dem Knecht im Takt einer Blaskapelle vor. Ebenfalls rhythmisch, aber gefährlicher, führte Bernstein, schlemisch lächelnd, in die Szene „Kommen Skinheads auf dich zu ...“, um dann zu empfehlen, die finsteren Typen zum Bier einzuladen und dann den Reim beendend mit: „Und nun kommst du!“. Überhaupt bewies Bernstein, dass es bei der „sinnlosen Lyrik“ ganz besonders auf die Schlusszeile ankommt und so ließ er ein lyrisches Ich die schöne Lüneburger Landschaft in aller Ausführlichkeit preisen und zum Schluss den Wunsch äußern, erschossen zu werden. Dem Publikum gefiel es zunehmend, auch die „schönen Gedichte“, die „ein gerütteltes Maß an Sinnlosigkeit“ behielten. Auch des Dichters Nase blieb rot. Karsten sawalski
Karsten sawalski
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