Kultur: Gesang wie Glockenklang Münsterchor Neuss
in der Friedenskirche
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Auch kleine Dinge können uns entzücken. Wie beispielsweise jener Sonnenstrahl, der plötzlich durch das Rundfenster der Woehl-Orgel auf das Mosaik in der Apsis fällt und es für wenige Minuten zum Leuchten bringt. Die Wenigsten werden ihn bemerkt haben, diesen kleinen Gruß an die 5. und letzte Sommermusik dieser Saison in der empfindlich kühl temperierten Friedenskirche. Ihr zum krönenden Abschluss zu verhelfen, war der Münsterchor Neuss eingeladen, der unter dem Titel „Lieben Sie nur Brahms?“ hauptsächlich mit europäischer Chormusik aus dem 20. Jahrhundert reüssierte.
Den Auftakt der ausnahmslos a cappella vorzutragenden Stücke bildet das Kyrie aus Franz Liszts „Missa choralis“. Angestimmt von etwa 45 Besitzern überaus klarer und kraftvoller Stimmen, die von den Altarstufen aus und unter Anleitung von Joachim Neugart den Kirchenraum mühelos erfüllen. Das Ohr kann sich an einem kernigen, transparenten, zuweilen sogar analytischen Klang erfreuen, der nicht der Wärme und Geschmeidigkeit entbehrt. Man singt intonationssauber und mit einer Routine derjenigen, die durch sonn- und feiertägliche Gesangsdienste bei den Hochämtern im Münster von St. Quirin bestens geschult sind.
Ohne Weihrauchambitionen tragen sie das tänzerisch beschwingte Gloria aus der „Missa brevis“ von Knut Nystedt (geb. 1915) kehlenfrisch und temporasant vor. In der synkopierten Lobpreisung des Herrn „Cantus gloriosus“ von Józef Swider (geb. 1930) wechseln dissonanzengespickte mit psalmodierenden Abschnitten. Rhythmisch außerordentlich pointiert, mit aufgeregtem Sprechgesang und ständig wiederholten Credo-Einwürfen zeigt sich der entsprechende Satz aus der „Neusser Messe“ von Vic Nees (geb. 1936). Leichtstimmig erklingen Johannes Brahms’ volksliedbearbeiteter Chorsatz „Sankt Raphael“ und zwei Psalmen von Edvard Grieg. Hier allerdings hätte es weniger forsche und stählerner Stimmfestigkeit bedurft, um die romantischen Empfindungen zum Klingen zu bringen. Hier wie in den anderen Stücken können die Schlussakkorde wohltönend und lange genug ausschwingen.
Es ist ein Gesang wie Glockenklang. Auch fällt auf, wie weitgehend unforciert die wohlproportioniert gefügte Chorgemeinschaft zu Werke geht. Sie findet direkten Zugang zu den Ohren, liebt den Fortevortrag und eine gestochene Diktion, weiß um Raumklangwirkungen. In Maurice Duruflés „Ubi caritas“ (Wo Güte und Liebe, da ist Gott) umsteht sie kreisförmig die Zuhörer, im „Gloria“ von Jan Sandström (geb. 1954) für drei Soli – sattelfeste Choristen unter der Orgelempore – und 12-stimmigen Chor, der sich an die Altarwand schmiegt. Das erzeugt den Stücken frappierende Wirkungen.
Zur Abwechslung spielt Matthias Jacob an der Woehl-Orgel. Aus „Neun Stücke“ op. 129 von Max Reger erklingen das g-Moll-Capriccio und die B-Dur-Melodia, die in diesen nunmehr zungenstimmentremulierenden Bereichen angesiedelt ist. Lautstark und kontrastbetont bringt Matthias Jacob wenig später Felix Mendelssohn Bartholdys f-Moll-Sonate op. 65,1 zum Erklingen. Mitten im akkordischen Satz bricht sich der Sonnenstrahl seine Bahn durch die Orgel – ebenso beeindruckend wie die Steigerung in den finalen, erhaben wirkenden Gefühlsrausch.
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