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Kultur: Geschichte selber gefühlt Felicitas von Aretin

liest bei Wist

Stand:

liest bei Wist Geschichte ist immer Rekonstruktion. Da gibt es Quellen, Daten und Erfahrungsberichte. Das gilt auch für das Datum des „20. Juli“, das nach mehreren Rekonstruktionsschritten nun einen einzigartigen, weihevollen Rang in der deutschen Geschichte gefunden hat. Das Handeln Henning von Tresckows, Claus Graf Schenk von Stauffenbergs, Carl Friedrich Goerdelers und der vielen anderen ist von Historikern eingehend untersucht worden, das gescheiterte Attentat an Hitler – das haben die Feierlichkeiten im letzten Jahr zum 60. Jahrestag gezeigt – hat Eingang gefunden in den positiven Gründungsmythos der Republik. Aber Geschichte „macht“ auch etwas mit uns, sie zeichnet ihre Spuren in jeden einzelnen, die manchmal, wie im Falle der Familien von den Nazis unbarmherzig verfolgter Beteiligter des 20. Juli, bis in die Gegenwart hineinreichen. Es ist ein Verdienst des Buches „Die Enkel des 20. Juli“, das auf Einladung des Brandenburgischen Literaturbüros von der Autorin Felicitas von Aretin heute im Literaturladen von Carsten Wist vorgestellt wird, neben einer akkuraten Darstellung über den aktuellen Stand der Geschichtsschreibung zum ersten Mal auch die „gefühlte“ Geschichte jener Familien zu untersuchen, die auch ein Teil ihrer eigenen Geschichte ist. Denn die Journalistin und Historikerin von Aretin hat als Enkelin von Henning von Tresckow selbst erfahren, wie Weltgeschichte Eingriff in die Familie nehmen kann, und wie sie fortwirkt. Hitler nahm die Familien der Attentäter in Sippenhaft. Die Frauen wurden ins Gefängnis oder Konzentrationslager gesperrt, ihre Kinder wurden ihnen entrissen und in Heime gegeben, wo sie andere Namen erhielten und zur Adoption frei gegeben wurden. Nach 1945 hüllten Großmutter und Mutter sich in Schweigen, zu groß war der Schmerz des Verlustes. Ihre Anerkennung in den neuen deutschen Staaten erfolgte zögerlich, Witwenrenten wurden verweigert, die Enkel galten bis in die Mitte der 50er Jahre als „Verräterkinder“. Die 1962 geborene Autorin stellte in 50 von ihr mit Enkeln geführten Interviews fest, dass dieses Schweigen in den Familien verbreitet war. Die Großväter waren Helden, vor deren Opferleistung eigene Bedürfnisse nichts gelten konnten. Unausgesprochen, aber allen bewusst war, „etwas Besonderes“ zu sein. Erst von Aretins besondere Mittlerrolle als Betroffene und gleichzeitig Historikerin erlaubte den Gesprächspartnern, sich zu öffnen. Für Potsdam ist diese Veröffentlichung von besonderem Interesse, ist doch der Widerstand mit dieser Stadt eng verbunden. Schloss Lindstedt war der Potsdamer Familiensitz der von Tresckows. In der Löwenvilla in der heutigen Gregor-Mendel-Straße soll die Bombe zeitweise gelagert worden sein. Ein besonders einfühlsames Interview führte von Aretin mit der Enkelin des Gewerkschafters Hermann Maaß, dessen damaliges Wohnhaus in Nowawes (heute Babelsberg) steht. Felicitas von Aretin liest aus „Die Enkel des 20. Juli 1944“ am Dienstag, dem 31. Mai, um 20 Uhr bei Wist – Der Literaturladen, Dortustraße 17 (Ecke Brandenburger Straße)

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