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Kultur: Geschichten vom Stadtbilderklärer

Kabarettist Tilman Birr auf dem Theaterschiff

„Hallo Potsdam!“, mit dieser platten Standardfloskel begrüßte Tilman Birr gestern sein kleines, zirka 40 Personen umfassendes Publikum. Mit Gitarre stand er da auf den schwarzen Brettern des Theaterschiffs, spielte und las aus seinem abgegriffenen Notizblock in Marmoroptik. Ziemlich unscheinbar, wäre da nicht sein lachsfarbenes Hemd gewesen. Kurz und knapp erläutert er zu Beginn sein Programm „Früher war hier alles Feld!“. „Vorne steht ein Trottel und erzählt Witze und Klischees“, so Birr. Aber wie sich herausstellt: ein Trottel ist Tilman Birr nicht.

Birr, der so etwas wie Kabarettist, Liedchensänger, Lesebühnenautor oder neumodern Poetry Slammer ist, überzeugt durch seine unaufdringliche, intelligente Art. Er spielt nicht den aufgedrehten Entertainer, aber sein Ton ist angemessen locker und frech. Nach einem musikalischen Auftakt, begann er sodann fröhlich drauf los zu erzählen: dass er seit zehn Jahren in Berlin lebt, in Frankfurt am Main aufgewachsen ist, dass er 2008 als Stadtbilderklärer auf einem Schiff gearbeitet hat. Gerade seine Zeit in Berlin habe ihn geprägt, er musste lernen sich anzupassen, sagte er. So berichtete er von einem Erlebnis in einer Postfiliale, als eine unfreundliche Postfrau mit Berliner Dialekt ihm empfahl, wenn er seine Pakete an die Tür geliefert haben will, möge er doch eine Flasche Goldbrand mit einer Geschenkkarte vor seiner Wohnung zurecht legen. Und das man besser unfreundlich sei, wenn man in Berlin etwas erreichen will. Ja, der Berliner Charme habe es ihm besonders angetan, sagte er ironisch. Es folgten Anekdoten aus Birrs Tätigkeit als Stadtbilderklärer. Er erzählte wie er einer Gruppe spanischer Touristen, die wenig interessiert an Berlin waren, das Kanzleramt als größtes Bordell Deutschlands vorstellte. Beeindruckend ist, dass Birr während seiner amüsanten Geschichten flüssig zwischen Englisch, Französisch, Spanisch oder eben dem Berliner Dialekt wechseln kann. Auch musikalisch hat Birr einiges zu bieten. Er besang seinen Hass auf Doppelbuchstaben mit der „Ballade vom Vornamen“, in Johnny Cash Manier. In dem Stück geht es um die Tatsache, dass Birrs Vorname „Tilman, originell mit einem N und einem L“ immer wieder falsch geschrieben wird. Der Dreißigjährige schafft es derart banalste Problemchen auf amüsante, unterhaltsame Art zu verpacken.

Das Highlight des Birrschen Programms war dann eine Eigeninterpretation des französischen Films „Die fabelhafte Welt der Amelie“. Mithilfe eines sogennanten Loop-Geräts, mit dem man mehrere Melodien aufnehmen und übereinander gelegt abspielen kann, portraitierte er die alltäglichsten Geschichten einer Großstadt. Wie in einem französischen Film erzählte er, unterlegt mit chansonartigen Melodien, beispielsweise von einem Mann, dessen Handtuch vom Haken fällt: „er hängt es wieder auf. Niemand beobachtet ihn dabei.“ Solche unscheinbaren Pointen sind die Sahnehäubchen in seinen Geschichten. Birr hat eine ganz eigentypische Ironie mit der er die Dinge des Alltags hinterfragt. In seinen Programmen geht es hauptsächlich um wahre Begebenheiten, Geschichten aus dem Alltag und um Klischees. „Das ist ja das Spannende an Klischees. Obwohl sie teilweise wahr sind, versucht man sie zu widerlegen“. Josefine Schummeck

Josefine Schummeck

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