Kultur: Geschichtete Tochter
Inter-Galerie zeigt irakische Kunst zum Thema Emigration und Identität
Stand:
Inter-Galerie zeigt irakische Kunst zum Thema Emigration und Identität Von Babette Kaiserkern „Der Künstler soll wie ein Tiger im Dschungel sein“, sagt Nedim Kufi. Der irakische Künstler zeigt zusammen mit seinem Landsmann Talal Refit Bilder und Objekte in der Inter-Galerie im Nikolaisaal Potsdam. Während der aus der Nähe von Osnabrück kommende Talal Refit schon 1985 anlässlich des irakisch-iranischen Krieges sein Land verließ, emigrierte Nedim Kufi während des Golfkrieges 1991, er lebt heute in Amersfoort in Holland. Kennen gelernt haben sich die gebürtigen Iraker 1995. Die Brücke dazu bildete die Kunst, der sich beide seit vielen Jahren widmen, und natürlich ihre Vergangenheit und ihr Emigrantendasein. Dieses Schicksal, das sie mit unzähligen Menschen auf der Welt teilen, wird facettenreich in ihrer Kunst reflektiert. Entdeckt wurden die beiden Künstler von Kurator Erik Bruinenberg in einer New Yorker Galerie. In Potsdam zeigen Talal Refit und Nedim Kufi unter dem Titel „Das Erbe“ überwiegend neu entstandene Arbeiten, die eine große Spannweite verschiedener traditioneller und moderner Techniken und Formen umfassen. Wenn auch der Titel schwer belastet ist – nicht zuletzt in Deutschland – soll diese Ausstellung auch ein Versuch sein, sich mit dem eigenen Erbe künstlerisch auseinander zu setzen, sagt Erik Bruinenberg. Die Arbeiten von Talal Refit und Nedim Kufi verschmelzen Vergangenheit und Gegenwart und bringen dabei neue Perspektiven und Identitäten hervor. Seit vielen Jahren experimentiert der 1958 in Kirkuk geborene Talal Refit mit roher, unversponnener Wolle als Bildmaterial. Wolle ist für ihn ein Element der Wärme, der mütterlichen Mitgift. Auf den ungefärbten Wollhintergrund bringt Talal Sieb- und Laserdrucke auf – so entstehen vielschichtige Material- und Bildwirkungen. Auf ein großes Wolltableau hat er ein stark vergrößertes Bild eines Uhrwerks gedruckt, auf einem Wolle-Gaze-Grund ist ein altes unscharfes Foto zu sehen, das Zegurat-Treppen (die traditonelle Bauweise in Mesopotamien bis zur Gegenwart) mit darauf stehenden Menschen zeigt, die einander von Hand zu Hand etwas weitergeben. Ein kurioses Artefakt ist die originalgetreue Nachahmung eines irakischen Passes mit Bleistift – listige Chiffre für die allgegenwärtige Staatsgewalt. Dabei sind alle Objekte mehrfach lesbar wie ein Palimpsest, ein von neuem beschriebenes Pergament, und offen für die jeweilige Sehweise des Betrachters. Auch Nedim Kufi, der 1962 in Bagdad geboren wurde, wartet gespannt auf ein Feed back auf seinen großformatigen Siebdruck. Er zeigt eine Fliege, dekorativ und befremdlich zugleich – „die Schönheit des Schmutzes“. Eine Collage besteht aus einigen geometrisch angeordneten Rosenblätterfetzen auf tiefschwarzem Grund – „Postkarte nach Bagdad“ heißt das emotionale Werk. Siebdrucke von Steinen auf Leinwand, die anschließend mit Henna koloriert wurden, tragen den Titel „Das Erbe“. Einst erhielt Nedim Kufi von seinem Großvater ein paar simple Steine, die die Überlieferung von einer Generation zur nächsten symbolisieren sollten. Doch er wendet sich gegen die starre Tradition – die er in der gleichförmigen Wiederholung der gedruckten Steine sichtbar macht. „Ich glaube an den Wechsel“, sagt Nedim Kufi. „Als Emigrant habe ich gelernt in einer universellen Gemeinschaft zu leben, nicht in einer lokalen Tradition.“ Inspiration und Sinnbild der Probleme und des Neuanfangs ist für ihn seine Tochter, die in Holland geboren wurde. Mit zwei Pässen ausgestattet fragt sie manchmal nach ihrer Identität und ihrer Vergangenheit. Ein Bild von ihr aus mehreren übereinander liegenden, bedruckten Gazeschichten steht im Zentrum der Ausstellung. Für Nedim Kufi ist sie ein „Kind in der Kunst“, ohne festes Ziel, unschuldig, frei und vielschichtig zugleich – wie die Kunst auch. „Das Erbe“, 27. Mai bis 30. Juni, Inter-Galerie, Di bis Fr 12 bis 17 Uhr, Sa 10 bis 14 Uhr
Babette Kaiserkern
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: