Kultur: Geschmackvoll
Orgelsommer: Neil Wright in der Friedenskirche
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„Dass ein würdevolles Orgelspiel die Gläubigen in hohem Grade erbaut, wer wollte dies läugnen?“ Doch leider höre man oft ein sinn- und planloses Durcheinander, berichtet Bernhard Kothe anno 1862 über anmaßende Improvisatoren. „Zum Improvisieren gehört aber außer der technischen Spielfertigkeit und der vollkommenen Beherrschung der Theorie noch eine glückliche Erfindungsgabe, die doch nur äußerst selten anzutreffen ist“, weiß er gleichfalls. Zu denen, die diese Kunst des gleichzeitigen Erfindens und Ausführens von Musik ohne offenkundige unmittelbare Vorbereitung beherrschen, gehört der Brite Neil Wright, Organist der Benediktinerabtei in Farnborough. Mit einer überaus beeindruckenden Improvisation über das ihm erst unmittelbar zuvor aus dem Publikum übermittelte evangelische Kirchenlied „Wer nur den lieben Gott lässt walten“ beendete er seinen beifallsbejubelten Orgelsommer-Auftritt an der Woehl-Orgel in der Friedenskirche.
Interessante Farbwechsel, raffinierte Registerstimmen, agogische Rückungen und geschmackvoller Tonsatz zwischen Barock und Romantik sorgten für ständige Stimmungswechsel. Auch sein übriges Programm pendelte zwischen diesen Stilen. In seiner akkordisch geprägten, dissonanzengeschwängerten, kompakt konstruierten „Choral“-Komposition, suchte er die Vergangenheit mit der Gegenwart zu verbinden. Wesentlich gefälliger hörte sich dagegen das Übrige an, das Wright mit dem Reichtum der Woehlschen Klangfarben auszustatten trachtete.
Ausgefallene Registrierungen sorgten oft für überraschende Wirkungen. So beim einleitenden Kriegsmarsch der Priester aus „Athalia“ von Mendelssohn Bartholdy, dem er mit viel „Trompette harmonique“-Geschmetter martialischen Charakter verlieh. Per Crescendowalze imitierte er effektvoll das An- und Abmarschieren der Kriegerschar. Gambenweich und flötenlieblich sang sich das seelensanfte Präludium, in einer Mixtur aus schnarrenden und quäkenden Soloregistern die Fuge G-Dur op. 37 Nr. 2 aus. Gewichtiger in ihrem Anspruch zeigte sich die B-Dur-Sonate op. 65 Nr. 4, die Neil Wright mit jener herrlichen Leichtigkeit und Gelöstheit artikulierte, aus der sich wenig später Leidenschaft, gefällige Verinnerlichung, eine zart hingetupfte und stark tremulierende Fröhlichkeit, schließlich eine gewisse Erhabenheit verkündigte. Ätherisches Klangsäuseln mit mancherlei Echowirkungen zeichnete die Lesart der lyrisch sich ergießenden Serenade aus „Hassan“ von Frederick Delius aus.
Frankophone Spätromantik brach sich voller hymnischer Klangfülle in der „Pièce Héroique“ von César Franck als einer verkappten Toccata ungehemmt Bahn. Pure italienische Klangsinnlichkeit bestimmte schließlich die Wiedergabe von Johann Sebastian Bachs Toccata, Adagio und Fuge C-Dur BWV 564: klangbrillant, virtuos, farbenverspielt. Überraschend zu hören, wie Neil Wright auf der romantisch disponierten Orgel den Bachschen Kontrapunkt mit geradezu glasklarer Durchsichtigkeit funkeln und leuchten ließ. Dem Adagio haftete nichts von lastender Erdenschwere an, sondern es zeigte sich in seiner ganzen irdischen Unbeschwertheit. Einen geradezu fröhlichen Verlauf nahm die abschließende Fuge, die dem mitreißenden Vortrag die Krone aufsetzte.Peter Buske
Peter Buske
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