Kultur: Gesehen habe ich viel ...
Besuch in Sachsenhausen / Ausstellung in Landeszentrale politische Bildung
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Eine schwarz-weiße Fotostrecke durchzieht wie ein roter Faden die Ausstellung. Darauf ist die Realität des ehemaligen Konzentrationslagers abgebildet: Zellen, Stacheldraht, Ofentüren. Darüber hängen farbige Bilder und selbst verfasste Texte von Jugendlichen aus Potsdam und Frankfurt/Oder, die die Gedenkstätte Sachsenhausen besucht und sich mit dem, was sie an diesem authentischen Ort des Grauens gesehen und gehört, künstlerisch auseinandergesetzt haben.
Der 18-jährige Torsten Steinbrecher schreibt: „Ich fahre in ein Lager. Ich will nicht betroffen sein. Betroffen waren schon andere. Ich will lernen, um zu verstehen.“ So wie ihm gehe es vielen Nachgeborenen, sagte Günter Morsch in seiner Rede zur Eröffnung der eindrucksvollen Exposition in der Landeszentrale für politische Bildung. Und er betonte, dass es gerade für die Gedenkstättenpädagogik außerordentlich wichtig sei, ganz unterschiedliche Sichtweisen zuzulassen und den heutigen Besuchern zu ermöglichen, aus der Rolle des „passiven Konsumenten“ herauszutreten. Geschichte sei ein lebendiger Prozess, der individuell und immer wieder von Neuem erarbeitet werden müsse.
So malte der Zwölftklässler Eric Qualitz beispielsweise „Himmlische Hölle“. In Form eines Comics: eine grüne familiäre Oase direkt neben rotem flammenden Inferno. Für ihn war die Absurdität, dass direkt neben dem KZ Schulen und Einfamilienhäuser gebaut wurden, nicht anders zu fassen. Seine Mitschülerin Annemarie Lahr-Eigen, die wie er den Leistungskurs Kunst des Potsdamer Einstein-Gymnasiums belegt, gestaltete in Anlehnung an die berühmten drei Affen, ihre Collage „Ahnungslos?“. Und kontrastierte die, die „nichts hören, nichts sagen, nichts sehen“ wollen mit Belegen aus der Realität der Vernichtung. Auf dem Mützenschild des Schweigers steht: „Deutsche Täter sind keine Opfer“. Und Edvard Munchs „Schrei“ wird auf dem Bild der 17-jährigen Christina Baudisch von einem verzweifelten Häftling ausgestoßen. Das weltbekannte Vorbild vermochte, die eigene Sprachlosigkeit angesichts der erfahrenen Qualen der Häftlinge aufzuheben. „Gesehen habe ich viel“ sind ebenfalls Worte eines Gedichts einer 16-Jährigen. Die Autorin Carmen Winter begleitete Frankfurter Jugendliche in einer Schreibwerkstatt bei dem Versuch, sich diesem fremden und „auszeitigen Ort“ zu nähern. In Potsdam haben die Künstlerinnen Dorothea Neumann und Inken Gusner vom KiK e.V. 15 Potsdamer Gymnasiasten unterstützt, das in Sachsenhausen Gesehene, in eigenen Bildwelten zu verarbeiten. Und das ungewöhnliche Experiment ist mehr als geglückt. Denn die Teilnehmer dieses nachahmenswerten Projektes des Landesjugendringes Brandenburg haben nicht nur Vergangenes buchstäblich mit allen Sinnen erfahren, sondern auch Gegenwärtiges dazu in Beziehung gesetzt. Nicht nur auf dem Skinhead-Bild von Karoline Einicke oder im berührenden Prosatext von Katja Mahrzahn. Sie haben ihr eigenes Gesicht gezeigt, fotografisch unmittelbar im Begleitkatalog, der nicht nur für Schulklassen unbedingt zur Besichtigung empfohlenen Ausstellung und mittelbar in jedem einzelnen der bemerkenswerten Ausstellungsstücke.
Bis 28. Juni, Landeszentrale für politische Bildung, Mo bis Mi von 9 bis 18 Uhr, Do und Fr von 9 bis 15 Uhr
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