Kultur: Gesichter des Prager Frühlings Historische Fotografien
in den Bahnhofspassagen
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Ein Mann in Anzug und Mantel steht auf dem Prager Wenzelsplatz, die Aktentasche in der Hand. Vielleicht führt ihn sein täglicher Weg zur Arbeit hier entlang. An diesem 21. August im Jahr 1968 aber ist alles anders: Panzer rollen über die vertrauten Straßen. Der Mann steht starr, scheint nicht zu glauben, was er sieht.
Aus den Gesichtern, die tschechische und slowakische Fotografen in diesen Tagen auf Zelluloid bannten, spricht Fassungslosigkeit: weit aufgerissene Augen, erschrocken vor den Mund gehaltene Hände, eine in Falten gelegte Stirn. Es sind Bilder, die auf abenteuerlichen Wegen aus dem besetzten Land geschmuggelt wurden, um den Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes, die jähe Beendigung des Prager Frühlings, aber auch den erbitterten Widerstand der Bevölkerung für die Weltöffentlichkeit festzuhalten.
Nun, 40 Jahre danach, erinnern sie in einer Ausstellung in den Potsdamer Bahnhofspassagen an die dramatischen Ereignisse, die auch hier zu Lande manche Hoffnungen auf einen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ begruben. „Die Fotografien gehören zum festen Bildinventar des 20. Jahrhunderts“, sagt Jürgen Danyel vom Potsdamer Zentrum für Zeithistorische Forschung, der die Ausstellung gemeinsam mit tschechischen und slowakischen Historikern zusammenstellte.
Von der Decke herab hängen Großaufnahmen, die den Blick der Passanten auf eben jene „Gesichter des Prager Frühlings“ ziehen, die der Ausstellung mehr als einen Namen geben. Wer es nicht eilig hat, bleibt unweigerlich stehen und schaut in die erschrockenen Augen eines Jungen, die erahnen lassen, auf welch schockierende Weise die militärische Gewalt die Friedlichkeit eines Kindersommers zerstörte.
Viel offenen Raum haben die Ausstellungsmacher der klar gegliederten Fotoschau gegeben. Ein Transparent in der Mitte informiert über die historischen Fakten. Gerade weil Schwarz und Weiß vorherrschen, können die Bilder ihre ganze Kraft entfalten. Etwa in den Motiven aus glücklicheren Tagen: vom ersten Beatfestival in der Tschechoslowakei, von Blumenkindern bei den Kundgebungen zum 1. Mai und vom lange verbotenen Studentenfest „Majales“, auf dem die jungen Leute ausgerechnet den gerade in Prag weilenden Allen Ginsberg zu ihrem „Studentenkönig“ krönten. Jiri Menzel ist zu sehen, der für „Liebe nach Fahrplan“ den Oscar erhalten hatte, und Bohumil Hrabal, wie er mit Freunden „50 Jahre DADA“ feiert.
Noch im Februar 1968 hatte Fotograf Vladimir Lammer Parteichef Alexander Dubcek in freundschaftlichem Gespräch mit Leonid Breschnew abgelichtet. Ein trügerischer Eindruck. Denn schon auf den nächsten Bildern schieben sich russische Panzerkolonnen durch die Prager Altstadt. Ein Mann geht mit offenen Armen auf die Soldaten zu, Passanten suchen das Gespräch. Ein Kind blickt zu einem Posten auf, der, selbst kaum erwachsen, ins Leere schaut.
Verständigung war nicht möglich. So blieb nur Widerstand und Protest. Fotograf Jiri Vsetecka dokumentierte, wie die Prager mit Barrikaden ihren von der Zensur befreiten Rundfunk zu schützen versuchten. Zwanzig Menschen verloren dabei ihr Leben. Zu riesigen Gedenkmärschen schließlich kam es, als sich der zwanzigjährige Philosophiestudent Jan Palach im Januar 1969 auf dem Wenzelsplatz öffentlich verbrannte, um gegen die nach der Niederlage herrschende Resignation und Lethargie ein Zeichen zu setzen. Nichts als Trauer und Erschöpfung steht nun in den einst fröhlichen Gesichtern des Prager Frühlings.
Ein kurzes Aufbäumen entdeckte Fotograf Milan Novotny in den ausgelassenen Jubelfeiern, als die CSSR bei den Eishockey-Weltmeisterschaften 1969 die sowjetische Mannschaft besiegte. Am Ende der Ausstellung findet sich ein stilles, sehr privates Bild aus den siebziger Jahren, das in die Zukunft weist: darauf der Schriftsteller Václav Havel mit seiner Frau. Antje Horn-Conrad
Antje Horn-Conrad
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