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Wuchtig. Qurbani sprach über seinen Film „Wir sind jung. Wir sind stark.“

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"Wir sind jung, wir sind stark": Wuchtiger Film zur Hetzjagd von Rostock: Gespräch mit Regisseur Qurbani im Filmmuseum

Es gibt Filme, deren emotionale Wucht noch lange wirken, wenn der Vorhang über der großen Leinwand sich längst geschlossen hat. „Wir sind jung.

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Es gibt Filme, deren emotionale Wucht noch lange wirken, wenn der Vorhang über der großen Leinwand sich längst geschlossen hat. „Wir sind jung. Wir sind stark.“ von Burhan Qurbani gehört unbedingt dazu. Wer diesen vor einigen Wochen gestarteten Spielfilm verpasst hat, konnte ihn am Mittwochabend im Filmmuseum sehen, wo er in der Reihe „Aktuelles Potsdamer Filmgespräch“ lief. Der Film blickt zurück auf ein gesellschaftserschütterndes Ereignis der deutschen Nachkriegsgeschichte: die Ausschreitungen vor einem Asylbewerberheim in Rostock-Lichtenhagen im August 1992. Damals entsetzten TV-Bilder die Weltöffentlichkeit, auf denen eine Menschenmenge „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ skandiert, Steine und Molotowcocktails gegen ein brennendes Haus fliegen, mit den vielen vietnamesischen Bewohnern in Todesangst.

Nun stellte der Regisseur fest, dass die Erinnerung daran aus dem kollektiven Bewusstsein zu verschwinden droht: Er fand nur einen einzigen Dokumentarfilm darüber. Die Generation der 20-Jährigen, zu der auch seine Hauptdarsteller gehören, wusste nichts mehr über Rostock-Lichtenhagen. Und nach 1992 erschienen kaum Publikationen, die sich mit den Ereignissen auseinandersetzen.

Burhan Qurbani, in Deutschland geborener Sohn afghanischer Eltern, war 1992 elf Jahre alt. Die Fernsehbilder der Ausschreitungen verstörten ihn tief, erzählt er im Filmgespräch mit der Medienwissenschaftlerin Jeannette Eggert. Denn sie machten ihm zum ersten Mal bewusst, dass er in Deutschland fremd ist. Der Begriff Heimat, sagte er, wurde doppelbödig. Und: Wenn es eine rote Linie gibt in seiner Arbeit, dann ist es vor allem die Suche nach Identität und Heimat.

Die interessierte ihn auch bei seinen Figuren. Im Fokus des Films, der die Ereignisse eines Tages und deren Zuspitzung aus verschiedenen Blickwinkeln erzählt, steht eine Clique Jugendlicher, darunter auch Stefan, der Sohn eines Lokalpolitikers, und Robbie, Anarchist und Provokateur. Ohne Perspektive treibt die Clique in der Tristesse ihres Plattenbaus dahin, Sinnlosigkeit und Aggressionen suchen einen Weg nach außen. Am Ende gehören sie zu den Randalierern, die Molotowcocktails auf das „Sonnenblumenhaus“ werfen und es stürmen. Stefans fassungsloser Vater, der Lokalpolitiker, steht dabei in der Menge und versucht hilf- und wirkungslos gegenzusteuern.

„Wir haben uns gefragt“, beschreibt der Regisseur den Ausgangspunkt der Arbeit an der Geschichte, die er zusammen mit Drehbuchautor Martin Behnke schrieb, „wie funktioniert dieses Konzept von Fremdenfeindlichkeit? Was kann jemanden dazu verleiten, so etwas Monströses zu tun wie das, was in Rostock-Lichtenhagen passiert ist?“ Die Recherchen dauerten länger als ein Jahr. „Dabei haben wir verstanden, was es heißt, 16 und wütend zu sein, zum ersten Mal Liebe, Freundschaft und Verrat zu erleben, und gleichzeitig dieses Gefühl, nicht gesehen und von einer nach der Wende mit sich selbst beschäftigten Elterngeneration vernachlässigt zu sein“, sagte der Regisseur.

Den Film durchzieht eine verstörende Endzeitstimmung, eine Zuschauerin nennt sie „surreal“. Qurbani kann das durchaus akzeptieren. „Ich weiß immer nicht“, antwortet er auf eine Frage aus dem Publikum, „weil so viele Zufälle mitspielen, wie viel wirklich von mir ist. Bei jedem neuen Film habe ich Zweifel, mein Interesse und die Liebe zum Film, das in den Film bannen zu können – bei so vielen Zufällen.“ Der Sympathie aller anwesenden Zuschauer im Potsdamer Filmmuseum kann sich Burhan Qurbani an diesem Abend jedenfalls gewiss sein.Susanne Klappenbach

Susanne Klappenbach

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