Kultur: Gespür für Seelenzustände
Katja Riemann las Die Kleine Meerjungfrau
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Liebe bringt Kummer, Liebe bringt Glück, besonders bei der allerersten. Der Prinz ist sechzehn, die kleine Undine eben erst fünfzehn und flügge geworden, als Andersens Geschichte von „Der kleinen Meerjungfrau“ beginnt. Sie rettet ihn vom sicheren Wassertod, und sein Unterbewusstsein schließt die Schöne fest in sein Herz, er will keine andere freien. Aber wie das Leben so spielt, geht alles schief im ergreifend schönen Märchen, die Alten haben es sowieso gewusst: Als die namenlose Nixe für ihre Liebe die schöne Stimme der Meerhexe opfert, prophezeit diese: „Er wird dich ins Unglück stürzen“. Auch die weiß-bekrönte Großmutter warnt, die Langlebigkeit ihrer Elementarsippe nicht leichtfertig gegen „zwei hässliche Säulen“ aufs Spiel zu setzen, die Menschenbeine. Undinchen aber liebt ihren Prinz aus vollem, jungen Herzen, sie hofft sogar, durch ihn in den Besitz einer unsterblichen Seele zu kommen. Der Preis ist ihr Leben. Kein Einwand nützt. Natürlich geht alles schief bei dieser ersten und letzten Teenee-Liebe.
Dieses so lehrhafte Märchen von Hans Christian Andersen in Szene zu setzen, hatte die Künstler-Agentur Barbara V. Heidenreich keine Geringere als Katja Riemann ins Schlosstheater verpflichtet. Sie kam eine Viertel Stunde vor Veranstaltungsbeginn. Zum Umziehen war noch Zeit, und das zahlreich erschienene Publikum begrüßte die vom dänischen Kronprinzenpaar zur „Andersen-Botschafterin" ernannte Aktrice in einem langen Weißen, darauf güldene Sterne gestickt, mit großer Herzlichkeit. Weniger Zeit schien zum „warm up“ geblieben zu sein, Katja Riemann brauchte einige Minütchen, um vom Lesen zum Gestalten des Textes zu kommen. Ein Glücksgriff für den neunzigminütigen Abend waren zudem die zwölf „Lyrischen Stücke“ von Edvard Grieg, welcher so manches Gedicht des Freundes zierlich in Noten setzte. Kompositionen für jeweils zwei Stimmen, die miteinander auf kunstvolle Art zu spielen scheinen, bis sich feinherbe Emotionen einstellen. Die japanische Pianistin Hideyo Harada gab zwölf dieser Stücke mit ausladenden Gesten. Man sagt ihr ja auch „Gespür für Seelenzustände“ nach.
Katja Riemann, in jeder Sekunde ihres Auftritts Schauspielerin, tat im Verlaufe der Lesung dasselbe. Emotionen für Undine: Ihre Stimme kann herb und weich zugleich sein, gefühlvoll und distanziert. Welch ein Jammer, als der Prinz die Meerjungfrau so innig an seine Seite setzt, doch sie als Retterin und Seelendame nicht erkennt. Eine andere gewinnt sein Herz, soll ihn vorm Ertrinken gerettet haben. Die „sprechenden Augen“ Undines sagen nichts dazu, sie schweigt und leidet ob dieser Verwechslung. Ihre stumme Liebe kann ihn nicht erreichen. Nun verpfänden ihre sechs Schwestern gar ihr Haar bei der Hexe im Malstrom, um sie zu retten. Erdolchte sie den Prinzen, bekäme sie den Fischschwanz zurück, mithin ihr bedrohtes Leben. Sie kann“s nicht, mit Aufgang der Sonne stirbt sie, wird „Meerschaum“, aus dem einst die Venus erstand.
Alle waren von diesem unglücklichen Finale ergriffen. Die Vorleserin hatte ihre Aufgabe bestens erfüllt, einen guten Teil des Wasser-Themas von Kulturland Brandenburg eingelöst, und letztlich wohl auch so manchen Sponsor erfreut, die so prominente Schauspielerin live zu erleben. Viel Beifall, Blumen, im Anschluss wurde eine Exklusivführung durch den „romantisch“ illuminierten Muschelsaal des Palais angeboten. Auch dort findet man diesen Meerschaum ...
Gerold Paul
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