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Kultur: Gestaltungswundersames

In den Nikolaisaal verlegte Klangabenteuer vom „Schauplatz Sizilien“ mit Etta Scollo

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Nach der Entführung ihrer Tochter soll die verzweifelte Mutter, eine Sizilianerin, immer wieder „Ma figlia“ gerufen haben. So sei die Mafia zu ihrem Namen gekommen. Eine hübsche Geschichte, mit der Moderator Clemens Goldberg beim „Klassik am Sonntag“-Konzert das in Scharen herbeigeeilte Publikum im Nikolaisaal auf den Multikulti-„Schauplatz Sizilien“ einzustimmen trachtet. Gleich zu Beginn seiner Plaudereien outet er sich als ein „Sizilienverrückter“, der vom Land der Gegensätze schwärmt, von „großartigsten Zeugnissen der Kultur und totalem Verfall“. Auch die Mafia lässt er nicht unerwähnt, zumal sie im weiteren Programmverlauf noch eine Rolle spielen werde. Mit sizilianischer Reistorte und Tiramisu hat sich auch Schusters kulinarisches Foyer-Buffet dem Thema des Nachmittags angepasst.

Heiß sei das Klima der Insel, heißblütig deren Bewohner. Was mit dazu führe, dass Eifersuchtsdramen und Verrat meistens tödlich enden. Also sprach Goldberg, und kündigt die entsprechenden, kurzfristig umgestellten Klangbelege an, derer sich die Brandenburger Symphoniker unter Michael Helmraths Leitung voller Hingabe annehmen. Sozusagen mit großem Atem musizieren sie Giuseppe Verdis Opernouvertüre zur „Sizilianischen Vesper“, einer Hommage auf die Franzosen-Vertreibung anno 1282.

Gleichsam als Ruhe vor dem Sturm beschwört die langsame Einleitung lastende Stimmungen, die in die marschrhythmische Dramatik des Rachefeldzugs münden. Nicht weniger packend das entkitschte, dennoch schwelgerisch gespielte Intermezzo sinfonico aus Pietro Mascagnis „Cavalleria rusticana“, ehe es zur mörderischen Katastrophe in einem sizilianischen Dorf kommt.

Eine aristokratisch gepflegte, von galanten Tänzen beschwingte Atmosphäre beschwört die Filmmusik zu „Il Gattopardo“ (Der Leopard) von Nino Rota (1911-1979) nach der Romanvorlage von Giuseppe Tomasi di Lampedusa. Wie es unter der Oberfläche brodelt und gärt, man sich entweder als Anhänger der Aristocratici oder der Garribaldisti zu erken-nen geben muss, ist in der großen Ballszene vorzüglich eingefangen und nicht weniger vortrefflich von den Musikern in spielerischer Raffinesse vorgeführt. Elegant schwebt, walzert, schwelgt und galoppiert es übers Parkett.

Zum Höhepunkt des Sizilien-Ausflugs gestaltet sich jedoch der Auftritt der sizilianischen Sängerin Etta Scollo, die mit orchestral bearbeiteten Liedern und Balladen ihrer Landsmännin Rosa Balistreri (1927-1990) begeistert. Wie diese, so begreift sich auch Scollo als eine Geschichtensängerin, die vom Leben und Lieben, von den Alltäglichkeiten des Seins, von Treue und Verrat singt.

Dabei lässt sich das Geheimnis der Scolloschen Stimme nur schwer ergründen und beschreiben. Vielleicht ist“s die totale Identität der Sängerin mit dem Vorgetragenen, die Vorstellung, sie habe das alles selbst erlebt, was ihren Vortrag so unmittelbar wirken lässt – und einmalig macht. Von der Naiven bis zur Xanthippe, von der Liebenden bis zur Rächerin verfügt sie über ein schier unerschöpfliches Repertoire an stimmlichen und gestalterischen Möglichkeiten. Gutturale Kehlenlaute wechseln mit schneidender Schärfe, die ausufernde Gefühlsgeste mit fast abweisender Kühle, Humor und Witz mit Sarkasmus, gepaart mit einem Schuss Ironie und Bitterkeit. Ein Gestaltungswunder.

Dem in „Quannu moru“ (Wenn ich sterbe) niedergeschriebenen Vermächtnis der Balistreri, ihre Lieder weiter zu singen, nimmt sich Scollo auch in Potsdam an: sie wird enthusiastisch gefeiert.

Naächste „Klassik am Sonntag“ am 23. März, 16 Uhr mit „Brehms Tierleben“ udn den Brandenburger Symphonikern.

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