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Kultur: Getäuschtes Auge

Für ihr Projekt „Chère Vitrine“ hat Friederike Feldmann die Scheiben des Inselpavillons gewählt

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Mit großen bunten Lettern hat Friederike Feldmann auf die Scheiben des Pavillons auf der Freundschaftsinsel geschrieben. Rot und orange, blau und rosa ziehen sich Schriftbahnen über die Panoramafenster. Zeitgemäße Kalligrafie, abends von innen erleuchtet „Chère Vitrine“, eine fröhliche Randnotiz in der ansonsten winterlich erstarrten Parklandschaft. Der Gedanke an Graffiti liegt nicht fern. Aber die Schrift ist ganz anders. Nicht mit schnellem Strich auf der Fläche angebracht. Der vorgefertigte Entwurf ist mit einer Overheadprojektion sorgsam, Schicht für Schicht mit der Farbe auf das Glas übertragen. Von innen, mit breitem Pinsel.

Um den schnell geschriebenen Schwung einer linksbündigen Rechtshänder-Schreibschrift zu simulieren, hat Feldmann genau geplant. Die 50-jährige Kunstprofessorin der Hochschule Weißensee hat ein Modell des Pavillons mit den Gitterrastern seiner Verglasung erstellt und darauf die möglichen Varianten der Schriftinstallation durchgespielt. Der Gegensatz zwischen der vorgeblich ausladenden Geste der Schrift und der kleinteiligen Fenstermalerei könnte nicht größer sein. „Das ist eine Pseudoschrift. Sie läuft wie eine echte Schrift durch das Bild“, sagt Friederike Feldmann. Die Zeichen entziehen sich einer Deutung. Die Künstlerin simuliert Buchstaben und Worte, vermittelt mit den Zeichen allerdings keine semantische Bedeutung. Ein wohl ausgewogener Farbklang stellt sich bei der Überlagerung der geschwungenen Linien ein. „Als wir das beim Aufbau aus der Entfernung betrachtet haben, sah es an einigen Stellen etwas ungenau aus“, so Gerrit Gohlke vom Brandenburgischen Kunstverein, der den Pavillon für regelmäßige Ausstellungen nutzt. Dann hätten Künstlerin und Assistent die Zeichen mit der Rasierklinge vom Glas gekratzt, um den Schriftzug ein wenig verändert erneut anzubringen. „Es war ein sehr kontrollierter Prozess notwendig, um diesen wie zufällig wirkenden Schwung entstehen zu lassen“, sagt Friederike Feldmann.

Die Ästhetik des Bildes schwanke irgendwo zwischen Graffiti und Kaufhaussonderangebot. „Ich will vom Klischee weg“, beschreibt die Künstlerin ihre Motivation zum Experiment mit dem geschwungenen Schriftbild. Kein wilder Tachismus und auch keine pseudosakrale Meditationskalligrafie sollte entstehen. Von jeder Bedeutungshuberei unbeschwert leuchtet die Schrift nun in die winterlich kalten Blumenfelder. Auch bei anderen Arbeiten interessiert Friederike Feldmann das Experiment mit vorgefundenen Zeichen und Bildern, die sie neu zusammenfügt oder intelligent verfremdet. In ihrem Studium habe sie sich mit gestischer Malerei auseinandergesetzt, sagt die Malerin. In ihren eigenen Werken verfremdet sie die Wirkung des häufig reduzierten Segments oder Zeichens mit Bezug auf die unmittelbare Umgebung. Die im weißen Raum entstandene Wandarbeit kann aussehen wie ein mehrere Quadratmeter riesiger, schwarzer Pinselstrich. Tatsächlich aber taucht die schwarze Farbe hinter haarkleinen, weißen Pinselstrichen auf oder setzt sich so aus vielen detailliert gezeichneten, einzelnen Strichen zusammen. Ein fadenscheiniger, an der Wand aufgehängter Teppich entpuppt sich bei näherem Hinsehen als pointillistisch getupftes Tafelbild. Bilder, die wirken wie der fehlerhafte Farbdruck wilden Gekritzels, sind genau in dieser sonderbar verschobenen Farbigkeit kleinteilig auf die Leinwand gemalt. Dieses Spiel und der Bruch mit den vorgefundenen Erwartungen der Zuschauer verwirrt in einer Weise, wie schon klassische Augentäuscherbilder den Betrachter genarrt haben.

Friederike Feldmann verfolgt systematisch das Konzept einer Malerei, die sich nicht mit dem vorgefundenen Kontext abfindet, sondern durch seine Hinterfragung die Umgebung, in der das Bild auftaucht, infrage stellt. Nicht das klassische „Werk für die Ewigkeit“, sondern das Konzept und die Ausführung der Malerei sind wichtig. Dementsprechend erfreuen viele ihrer Arbeiten den Betrachter lediglich temporär. Nach dem Ende der Ausstellung im Glaspavillon werden die bunten Schriftzeichen wohl der Glasreinigung zum Opfer fallen.

Noch bis zum 26. Februar im Pavillon auf der Freundschaftsinsel

Richard Rabensaat

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