zum Hauptinhalt

Kultur: Getrieben vom Anderssein

Am Hans Otto Theater: „Die neuen Leiden des jungen W.“ von Ulrich Plenzdorf

Am Hans Otto Theater: „Die neuen Leiden des jungen W.“ von Ulrich Plenzdorf Von Dirk Becker Das Feuer, das ihn verzehrte, es brennt noch immer. Bevor für das Publikum überhaupt etwas beginnt, flackert es als bläuliche Projektion im dunklen Bühnenhintergrund. Ruhig und doppeldeutig. Das Feuer, das einen antreibt, einen beherrscht, einen aber auch vernichten kann. Hier gibt es sich harmlos, den Edgar Wibeau ist tot. Die Geschichte kann also beginnen. Ulrich Plenzdorfs „Die neuen Leiden des jungen W.“, das am Donnerstag am Hans Otto Theater Premiere feierte, ist das Regiedebüt des Schauspielers Jörg Seyer. Plenzdorfs Anfang der 70er, ursprünglich als Drehbuch konzipierte Geschichte des 17jährigen Lehrlings Edgar, der nach kurzem aber heftigem Rebellieren den Tod findet - ein scheinbar leichtes, doch mittlerweile schwieriges Stück. Leicht, weil das Grundthema, das Auflehnen, das Ausbrechen aus der etablierten, elterlichen Welt und die Suche nach sich selbst nie an Aktualität verliert. Schwierig, weil Plenzdorfs Geschichte DDR-Kultstatus hat und somit die Erwartungshaltungen gegenüber einer Neuinszenierung entsprechend hoch sind. Die Geschichte dieses jungen W. besteht fast nur aus einem großen Monolog. Der Geist des toten Edgars erzählt dem Publikum seine Geschichte, während sein Vater sich aufmacht zu verstehen, was seinen Sohn trieb. Edgar, der scheinbare Musterlehrling, floh aus dem provinziellen Mittenberg nach Berlin. Hier, in einer abbruchreifen Laube, will er ein Leben nach seinen Vorstelllungen finden. Ohne Arbeit, einfach nur ein harmloser Tagedieb sein. Frank Prielipps Bühnenbild lässt einen das tragische Ende von Edgar spüren. Die verlotterte Laube, Edgars Gegenentwurf zur geordneten Welt, steht in der Mitte. Umgeben von mächtigen, betongrauen, kantig-kalten Klötzen, über die sich großflächig die Handschrift Goethes zieht. Drohend und unerbittlich greift dieses Monster fast schon auf den Zuschauerraum über. Die Stadt mit ihren sozialistischen Einheitsbauten frisst sich voran. Edgar sitzt im Käfig, da hilft auch das wilde Flattern nichts. Und Seyer lässt Ilja Schierbaum in der Rolle des jungen W. kräftig flattern. Edgar ist ein aufgekratzter Kerl, ein regelrechter Klugscheißer, der immer Gegenpositionen einnehmen muss, um zu zeigen, dass er anders sein will. Ein Typ, den man nicht unbedingt mögen muss, ihm aber trotzdem zu hören will. Schierbaum, gleichzeitig Sänger der Band „Schrottfisch“, die an diesem Abend die Musik lieferte, gab einen fast ständig unter Strom stehenden, wie ein gehetztes Tier über die Bühne springenden Edgar, von dem man sich manchmal etwas Ruhe gewünscht hätte. Denn spätestens zum Ende der gut zweistündigen Aufführung, als er wirklich ein Getriebener war, da fehlte die Kraft, da war kaum mehr Tempo drin, um das Ausweglose dieser Situation spürbar zu machen. In Edgars fragiler Gartenlaubenidylle bricht Charlie ein, Kindergärtnerin und femme fatal. Von ihr ist er überwältigt und gleichzeitig verwirrt. Diese Charlie, in der er bald die Charlotte aus Goethes Werther erkennt, ist ein unentschiedenes Wesen. Sie ist fasziniert und gleichzeitig abgestoßen vom verlotterten Edgar. Sie sucht seine Nähe, eine Art Ausbruch aus dem Normalen, für das ihr zukünftiger Mann Dieter (Robert Putzinger) steht, der zwar für einige Lacher sorgte, doch so wie er hier vorgeführt wird, allzu glatt und stereotyp wirkte. Sonja Grüntzig spielt die Charlie als regelrechtes Charakterchamäleon. Selbst der Zuschauer wird nicht schlau aus ihr. Mal selbstbewusst, arrogant, dann wieder unterwürfig, angepasst, unentschlossen zwischen der Verrücktheit der Teenager und dem Gesitteten einer Ehefrau. Zweimal nur scheint etwas in ihr aufzubrechen. Doch bevor der Zuschauer es erkennt, ist sie schon wieder verschwunden. Daneben sind es vor allem die Nebenrollen, die überzeugen. Sabine Scholze als Edgars Mutter, Roland Kuchenbuch und Joachim Schönitz, grandios als Anstreicherduo - wie ein altes Ehepaar - vom Bau. Nur die Darstellung von Edgars Vater (Philipp Mauritz) bleibt befremdlich. Er, der seine Frau verließ als Edgar noch klein war, macht sich auf, seinen Sohn zu verstehen. Doch egal wen er fragt, immer ist sein Ton laut, anklagend, fast schon cholerisch. Ein Mann, der von seinem Leben enttäuscht ist und feststellen muss, dass sein Sohn so werden wollte, wie er vorgab zu sein. Doch wie er dort durch das Stück poltert, kauft man ihm das nicht ab. Auch nicht die Betroffenheit, als er erfährt, dass Edgar ihn incognito besucht hatte. Zweimal öffnet sich für Edgar das graue Betonmonster. Einmal als er Arbeit annimmt. Ein zweites Mal als er mit Charlie ausbricht, endlich mit ihr allein ist. Doch diese Auswege sind keine Auswege für ihn. Er ist mittlerweile von einer anderen Sache gefesselt. Eine Erfindung, mit der er allen zeigen will, dass er anders ist und trotzdem dazu gehört. Doch das Feuer hat ihn scheinbar längst verzehrt. Ein Zurück ist nicht mehr möglich.

Dirk Becker

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false