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Kultur: „Gewalt gehört dazu. Wenn ich sie weglasse, wird es ein Idyll“

Der Schriftsteller Sherko Fatah zeigt den Mensch in seiner Entfremdung und Haltlosigkeit – Heute liest er aus „Das dunkle Schiff“ in Potsdam

Stand:

Herr Fatah, Ihr Vater stammt aus dem Norden Iraks, ihre Mutter aus Deutschland. Sie sind in beiden Ländern aufgewachsen. Was bedeutet für Sie Heimat?

Für mich ist Heimat verbunden mit der deutschen Sprache, die ich spreche und in der ich schreibe. Obwohl es auch eine Verbindung zur Heimat meines Vaters gibt, wäre ich nie auf die Idee gekommen, in dieser Sprache zu schreiben, die ich später auch nicht mehr so beherrscht habe, dass ich es hätte können. Dadurch ist auch eine gewisse Entfremdung eingetreten.

Drei von ihren mittlerweile vier Büchern spielen unter anderem im Norden Iraks. Ist Ihr Schreiben auch als Versuch zu verstehen, gegen diese Entfremdung anzugehen?

Das ließe sich natürlich so deuten. Aber es ist eher ein Ausgangspunkt hin zu dem Thema, das mich als Schriftsteller noch mehr beschäftigt als die Heimat meines Vaters: Die Gleichzeitigkeit von vollkommen fremden Kulturen, die uns im Alltag oft nicht auffällt. Dieser multiplen Welt gilt mein Interesse.

Darum auch dieses Zwischen-den-Kulturen in Ihren Büchern?

Ja, in „Onkelchen“ reisen zwei junge Leute aus Deutschland in den Nordirak. In „Das dunkle Schiff“, meinem jüngsten Buch, ist es jemand, der von dort hierher kommt. Es ist eine Art Brückensituation, die ich zum Ausgangspunkt nehme.

In „Das dunkle Schiff“ erleben wir die Hauptfigur Kerim in einer ständigen Brückensituation. Egal was er auch tut, er scheint nie ein Ziel zu erreichen.

Das stimmt und ist natürlich auch Absicht. Meine Grundidee war über jemanden zu schreiben, der diese gefährliche und illegale Reise aus seinem Heimatland nach Europa unternimmt. Als ich im Nordirak war, wo mein Vater jetzt wieder lebt, ist mir aufgefallen, dass sehr viele junge Leute völlig überzogene Träume von Europa und dem Westen haben. Es ist die Projektionsfläche für ihre Träume.

Ist die Reise Kerims, weil sie nur dazu dienen kann, Träumen hinterher zu jagen, von Anfang an zum Scheitern verurteilt?

In diesen Träumen liegt zum Teil ja der Grund für dieses Nichtankommen-Können. Das Land, in das er reisen will, ist utopisch und ausgedacht. Hinzu kommt noch die religiöse Verstrickung Kerims. Auch das ist etwas Erträumtes, eine Art Zugehörigkeit, die erst dann für ihn wichtig wird, als er in der Fremde scheitert.

Die Religion als Heimatersatz?

Religion als eine Art Heimatersatz, die aber auch etwas Utopisches hat. Kerim wird ideologisch indoktriniert. Ihm werden Dinge versprochen, Gewissheiten gegeben und somit einfache Antworten auf die großen Fragen. Eine Art Wegweiser, der sehr gefährlich sein kann für einen verunsicherten und entwurzelten Jugendlichen wie Kerim, der, nachdem er seinen Vater verloren hat, auch den Halt in der Welt verliert.

Eine Haltlosigkeit, die Kerim oft auch willenlos erscheinen lässt. Beobachtet man ihm bei den Gotteskriegern, wundert man sich, warum er alles so widerspruchslos hinnimmt. Schuldlos gerät er unter sie, macht sich dort aber sehr schuldig.

Daran hat mancher Anstoß genommen, weil er von einem literarischen Helden mehr Entschlusskraft erwartet. Aber auch in der Wirklichkeit begegnen uns solche Menschen in einer Mischung aus Opfer und Täter. Natürlich gibt es Fanatiker. Aber literarisch ist für mich der Zwiespalt, der gebrochene Charakter interessanter. Leute, die einer Welt gegenüber stehen, die sie nicht vollständig begreifen, daher auch Fehler machen und so schuldig werden.

Kerim schafft es nach Deutschland und kommt nach Berlin. Hier trifft er auf Jugendliche, deren Eltern aus der Türkei oder dem Irak stammen und die all das haben, was Kerim sich wünscht. Doch sie sind genauso orientierungslos wie er.

Den Jugendlichen, denen Kerim begegnet, kann auch jeder von uns selbst begegnen. Da habe ich nicht übermäßig viel Phantasie walten lassen. Aber ich weise immer darauf hin, dass es sich dabei um die Beschreibung einer Minderheit handelt. Das sind Jugendliche, die zwischen den Kulturen stehen. Einer sagt zu Kerim, dass er zwar dahin wolle, wo sie schon längst sind, aber dass er dort nichts erhoffen dürfe.

Sehr ernüchternd.

Ja, sie scheitern an unserer Gesellschaft, weil sie von ihren Eltern Rollenmuster vorgelebt bekommen, die hier nicht funktionieren. Sie fühlen sich ausgeschlossen und wissen, dass sie zwar die gleichen Ansprüche an unsere Konsumgesellschaft haben, aber nicht die gleichen Chancen. Aus diesem Gefühl entsteht ein sich Einrichten in der Entwurzelung.

Die oft genug in Gewalt ausbricht.

Dann aber nicht mehr in der Form, wie Kerim sie erlebt hat, sondern als Mittel, sich hervorzuheben, sich Achtung zu verschaffen.

Gewalt in der unterschiedlichsten Form durchzieht ihre Bücher. In einem früheren Gespräch haben Sie auf Joseph Conrad verwiesen und seine Erzählung „Ein Vorposten des Fortschritts“. Darin offenbare sich die Essenz seines Werkes: „Indem die Zivilisation an ihren Rändern verwildert, bringt sie zutage, was ihr zutiefst innewohnt: Barbarei.“ Ist Ihr Schreiben auch als Versuch eines Aufbegehrens gegen diese Barbarei zu verstehen?

Gewalt durchzieht in vielen Erscheinungsformen und Graden der Intensität mein Schreiben. Aber das hat auch mit der Welterfahrung zu tun, die dem zugrunde liegt. Gewalt ist ein so extrem wichtiger Aspekt der menschlichen Praxis, dass man nicht an ihr vorbeikommt. Es sei denn, man blendet sie aus. Wer an die Ränder geht, erkennt deutlich, wie es dort ausfranst, wie sich die Strukturen der Gewalt zeigen. Dann wird einem klar, wie sehr diese scheinbaren Randphänomene mit dem Zentrum zusammenhängen.

Also genau hinschauen, auch wenn der Anblick verwirrt und schmerzt?

Wenn ich Ernst mache mit dieser Literatur der multiplen Welten, wenn ich die Gleichzeitigkeit verschiedener Daseinsformen und Kulturen in den Blick bekommen möchte, gehört die Gewalt dazu. Wenn ich sie weglasse, wird es ein Idyll und droht ein wenig touristisch zu werden.

Obwohl es auch die friedlichen Seiten gibt.

Ja, aber durch den genauen Blick lassen sich bestimmte Dinge vielleicht klarer sehen, die einen sonst nur erschrecken würden. Auf Lesungen erlebe ich häufig, dass Leute Themen wie Islamismus oder Migration völlig fremd gegenüberstehen. Aber es ist ihnen näher als sie glauben. Wahrscheinlich ist das auch eine Abwehrreaktion. Aber vielleicht kann die Literatur ein Schlüssel sein. Indem man eine Geschichte erzählt, werden am Rande ein paar Dinge klarer und der Leser kann, ohne gleich Partei ergreifen zu müssen, die menschliche Dimension erfassen.

Auch andere Perspektiven?

Das ist die Chance von Literatur, wenn sie noch einen Sinn haben soll in einer Welt von Filmen und Dokumentationen: Eine andere Art von Empfindungen aufzubauen zu dem Erzählten. Auch wenn das ein Terrorist ist, ist da plötzlich das Gefühl, ihn zu kennen. Eine Nähe aufzubauen, die sein Tun nicht entschuldigt, vielleicht aber erklärbar macht.

Das Gespräch führte Dirk Becker

Sherko Fatah liest heute, ab 20 Uhr, in der Villa Quandt, Große Weinmeisterstraße 46/47 aus „Das dunkle Schiff“. Der Eintritt kostet 7, ermäßigt 5 Euro

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