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Kultur: Giftsprüher mit pastoraler Stimme Dietmar Wischmeyer findet klare Worte

Das war nichts für Zartbesaitete: Dietmar Wischmeyer, der Berichterstatter aus dem „Land der Bekloppten und Bescheuerten“, war am Donnerstag in der ausverkauften Waschhaus-Arena angetreten, um mit wirklich allem ins Gericht zu gehen, was seiner Meinung nach das Attribut „bekloppt“ verdient hat – und das ist im Wischmeyerschen Kosmos so ziemlich alles. Im Waschhaus stand an gleich zwei Tagen jeweils eine Show auf dem Programm, beide ausverkauft – der Saal war am Donnerstag auf Saunatemperatur vorgeglüht, und gerade mal zwei Barbedienstete versuchten verzweifelt, dem Ansturm in der Arena Herr zu werden – eine logistische Unmöglichkeit.

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Das war nichts für Zartbesaitete: Dietmar Wischmeyer, der Berichterstatter aus dem „Land der Bekloppten und Bescheuerten“, war am Donnerstag in der ausverkauften Waschhaus-Arena angetreten, um mit wirklich allem ins Gericht zu gehen, was seiner Meinung nach das Attribut „bekloppt“ verdient hat – und das ist im Wischmeyerschen Kosmos so ziemlich alles. Im Waschhaus stand an gleich zwei Tagen jeweils eine Show auf dem Programm, beide ausverkauft – der Saal war am Donnerstag auf Saunatemperatur vorgeglüht, und gerade mal zwei Barbedienstete versuchten verzweifelt, dem Ansturm in der Arena Herr zu werden – eine logistische Unmöglichkeit.

Wischmeyer ist kein Freund vieler Worte – die, die er benutzte, sprühten jedoch Gift und Galle. Dieses Wortkarge kam gleich am Anfang zur Geltung: Wischmeyer betrat die Bühne, setzte sich und knurrte nur: „Scheiße.“ Das reichte schon aus, um die ersten Lacher zu generieren, und taugte als ideales Vorwort für das, was jetzt folgte: kratziger Zynismus mit misanthropischer Komponente, geballte Negativität, in metaphorische Sätze verpackt, mit denen er in seiner langsam-zähen Art die Pointen staubtrocken von der Bühne warf. Hier bekam jeder sein Fett weg, ob Steinbrück – der „die Scharia im Schwimmunterricht einführen will“ – , Rentner – „wenn sich die Restfeuchte in den Torso zurückgezogen hat“ –, der Pick-Up-Besitzer, der „zum Supermarkt fährt, um Waschbärenfelle gegen Munition einzutauschen“ oder Bio-Nazis aus Mecklenburg, die „auf den Äckern wüten und den grünen Daumen zum deutschen Gruß erhoben haben“. Wischmeyer kramt Stereotype heraus, reduziert sie bis zur Unkenntlichkeit und würgt sie mit pastoraler Stimme hinaus, ein bisschen wie Gerhard Schröder mit Tourette. Dabei entstehen kunstvoll gedrechselte Sätze, die mit Vulgarismen garniert sind, kein Pointenfeuerwerk, sondern gut dosierte Splitterbomben. Dass dabei ganz oft an der Grenze des guten Geschmacks gekratzt wurde, nahm Wischmeyer in Kauf, ebenso die vereinzelten hysterischen Lachanfälle aus dem Publikum – fast schon seltsam, dass ein Soziopath wie Wischmeyer so viel Resonanz erfährt, sitzen doch gerade die, die er heftig attackiert, mitten unter den Anwesenden. Handwerklich ließ Wischmeyer sich nicht lumpen: Er las, rezitierte, schlüpfte in verschiedene Charaktere, benutzte multimediale Einspieler, während er sich den Finger im übertragenen Sinne bis zum Anschlag in den Hals steckte.

Die Fäkalmetaphorik Wischmeyers zielte aber auch darauf, hart zu treffen: „Einer Gesellschaft, die sich so sehr um ihre Ausscheidungsorgane sorgt, bläst der eisige Furz der Geschichte schon längst ins Gesicht“, mokierte er von seiner Kanzel. Überhaupt maßregelte er die TV-gesteuerte Konsumgesellschaft nach Strich und Faden: „Wir fressen ja auch nicht das Huhn direkt aus der Batterie, sondern warten, bis es Pangasiusfilet geworden ist.“ Und in Wischmeyers Geschichten wirkt das Personalpronom „wir“ sogar ausgesprochen deplatziert.

Das Problem Wischmeyers ist jedoch, dass eine derart stark konzentrierte Negativität irgendwann anstrengend wird. Sind die kurzen Kolumnen auf Radioeins wohldosierte Appetithäppchen, können über zwei Stunden Wischmeyer dann doch recht schnell zu einem ausgeprägten Sättigungsgefühl führen. Irgendwann kann man dem Geprassel sauren Regens kaum noch etwas entgegensetzen und korrodiert stetig. „Ich glaube, ich muss mal was Positives machen zwischendurch“, knurrte Wischmeyer kurz vor der Pause von der Bühne – und eigentlich lässt sich da schon der innere Wunsch nach genau dieser etwas leichter verdaulichen Unterhaltung kaum noch unterdrücken. Oliver Dietrich

Oliver Dietrich

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