Kultur: Gilgamesch und Enkidu: Weder Sterne noch Tiefe Ältestes Menschheits-Epos in der Reithalle A auf die Bühne gebracht
„Gilgamesch ist ungeheuer! Ich rechne eszum Größten, das einem widerfahren kann“, schrieb Rainer Maria Rilke über das gleichnamige Epos, mehr als 3000 Jahre alt und in Keilschrift verfaßt.
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„Gilgamesch ist ungeheuer! Ich rechne eszum Größten, das einem widerfahren kann“, schrieb Rainer Maria Rilke über das gleichnamige Epos, mehr als 3000 Jahre alt und in Keilschrift verfaßt. In der nachsintflutlichen Geschichte aus dem alten Sumer werden die ober- und unterweltlichen Fahrten des 5. Königs von Uruk erzählt, der Gilgamesch hieß, ein „Halbgott“. Grausam und ungerecht soll er gewesen sein, so dass ihm „die Götter“ mit dem Naturmenschen Enkidu einen gleichstarken Gegenspieler schickten. Aber die beiden wurden Freunde des Herzens. Gemeinsam besiegen sie den Himmelsstier Guanna und den Geist Chuwawa im magischen Zedernwald - weshalb die Oberen Enkidu von der Erde zurücknahmen. Voller Schmerz steigt Gilgamesch in die Unterwelt, nach ihm zu suchen. Wie nun das älteste Menschheits-Epos selbst nur Fragment ist, so nahm sich Regisseur und Autor Andreas Stadler seinen eigenen Teil daraus. Das Theater Bruch Stück ,Gilgamesch und Enkidu“", eine Gemeinschaftsproduktion zweier Berliner Theater und des Hans Otto Theaters, erlebte im März im Tacheles seine Uraufführung, nun war die Aufführung in der Potsdamer Reithalle A bei eher mäßigem Besuch zu sehen. Was „widerfuhr“ einem da? Der Schweizer baute in die mythische Handlung (Südirak) die Auffindung von Teilen des Keilschrift-Textes 1872 durch den Briten George Smith ein. Das Hauptstück der weitläufigen Off-Bühne (Isolde Wittke) war ein zwar selten genutzter, dafür um so gewaltigerer Quader, wie ein Kriegsbunker vor Kuwait. Darum marschierten eingangs drei Figuren, welche alle Rollen des Gegenwärtigen (in Englisch) und des Nachsintflutlichen (in Deutsch) zu spielen hatten. Bei Bedarf oder im Spiel verwandelte sich der Archäologe George Smith (Patrick von Blume) in einen jungschlacksigen Gilgamesch, Roberto Guerra vom Helfer des Briten (Fattuh) wahlweise in den indifferenten Enkidu und einen Fährmann, der die Toten übersetzt. Rula Badeen gab: eine Britin, des Gilgamesch'' Mutter, die Hure Schamhat, Ischtar (der Venus nahe) und, fatale Idee, eine sonnenbebrillte Barkeeperin der Unterwelt, als ob es da nicht dunkel genug wäre. Ein vierter kam später türenpochend und sehr lehrsam hinzu. Diese Inszenierung suchte ob ihrer Länge wohl Hohes und Tiefes. Am HOT befand man sogar, die Fragmente korrespondierten „erstaunlich direkt mit dem Lebensgefühl des 21. Jahrhunderts“, was vermutlich die homoerotische Beziehung der Titelfiguren meint. Folglich sah man statt der zeitlosen Tiefe eines Mythos - eine schnöde und ziemlich larmoyante Beziehungs-Kiste, passend zum Bühnenwürfel. Zur Pause hin erlebte man gute Szenen, von der Sozialisierung des Tiermenschen Enkidu durch die Hure Schamhat („Du hast mich schwach gemacht!“, schrie er sie später an) bis zu seinem Tod, auch die Herzensfreunde hatten gute Auftritte. Das ging, obwohl das Ganze höchst unökonomisch gearbeitet ist. Der zweite Teil war dafür zum Vergessen, hier stimmte überhaupt nichts. Guerra''s Fährmann war, jenseits seiner Pflicht, ein trunkener Tropf, die auf dem Tresen lümmelnde Bardame ein Elend, Gilgamesch (übersetzt „Der Alte ist noch ein junger Mann“!) fehlte jedes Gespür für Figur und Situation. Was alles ließe sich spielen, wenn man ein so existentielles Scheitern erfährt und sogar Rückkehr in die Welt anbefohlen ist? Das besorgt der Pocher aus dem Vestibül, Matthias Habich als Utnapischti, eine dem Noah vergleichbare Gestalt. Er belehrt Gilgamesch und Publikum ausgerechnet in der Unterwelt, dass Unsterblichkeit allein den Oberen bestimmt sei. Warum? Weil das, nicht ohne Grund, der Kern dieses Mythos ist, auch des von Stadler extrahierten Teils. Seine soziologisch-erotische Lesart aber greift weder Sterne noch mythologische Tiefe, was die Figurenanlage zeigte: Wie ging denn Enkidu mit den neuen Erfahrungen der Zivilisation um? Schmähte man Ischtar, die Herrin des Zweistromlandes, je so frontal? Käme jemand am „Fährmann“ vorbei? Dass Gilgamesch statt eines netten Burschen von nebenan ein mächtiger König war, sollte jeder Darstellung Voraussetzung sein. Was also hätte einem am Freitag denn „widerfahren“ sollen? Nichts Ungeheures. Gerold Paul
Gerold Paul
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