Kultur: Glasklare, instrumental geführte Stimmen „Vocalise“: „Singer Pur“ in der Erlöserkirche
Hocherzürnt über den Missbrauch der Kirchenmusik, habe Papst Marcellus II. beschlossen, alle Musik aus der Kirche zu verbannen und dies auf dem Tridentiner Konzil beschließen zu lassen.
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Hocherzürnt über den Missbrauch der Kirchenmusik, habe Papst Marcellus II. beschlossen, alle Musik aus der Kirche zu verbannen und dies auf dem Tridentiner Konzil beschließen zu lassen. Daraufhin habe ihn Palestrina, Mitglied der päpstlichen Kapelle, gebeten, das Verbot so lange nicht auszusprechen, bis er von ihm noch eine Messe gehört habe, die er gerade komponiere. Nach deren Hören sei der Papst anderen Sinns geworden. Soweit die Legende von der Rettung der katholischen Figuralmusik, die übrigens Hans Pfitzner zum Gegenstand seiner Oper „Palestrina“ gemacht hat. Seither wird des Renaissancemeisters legendenumwobene sechsstimmige Messe „Missa Papae Marcelli“ genannt.
Sie im Original kennen zu lernen, war nun bei der „Vocalise 2005“ mit dem renommierten Vokalensemble "Singer Pur" aus Regensburg möglich. In der gut besuchten Erlöserkirche gibt es eine geradezu spannende Lehrstunde in Sachen A-cappella-Gesang in reinster und klang-schönster Ausprägung. Wie würden sie des Werkes artifiziellen Anspruch meistern? Die fünf ehemaligen Regensburger Domspatzen nebst einer Sopranistin entscheiden sich für eine Vortragsweise, die sich aus asketischer Tonbildung und blutvoller, brionaher Leidenschaftlichkeit von Verdischen Zuschnitt mischt. Die suggestive Wirkung, die von dieser Gratwanderung zwischen Strenge und Empfinden ausgeht, ist enorm. Um die kunstvoll verfertigte Mehrstimmigkeit lupenrein zu Gehör zu bringen, prunkt „Singer Pur“ mit glasklaren, instrumental geführten Stimmen.
Bereits das einleitende Kyrie lässt einen gleichsam den Atem anhalten ob dieses Ausbruchs an Klarheit und Kraft. Die Verdeutlichung des Wortes ist ihnen sozusagen heiliges Anliegen und bestimmt den Duktus der gleichwertigen Einzelstimmen, die sich zum harmonischen Ganzen verbinden. Von dieser Homogenität und Einfühlsamkeit wird auch die Wiedergabe der anderen Sätze bestimmt. Schlicht und natürlich ertönt das Gloria, geradezu deklamatorisch das akkordisch geprägte und reich figurierte Credo, in einem überaus farbigen Mischklang das Sanctus und Benedictus. Besänftigend und besinnlich setzt das Agnus Dei mit seiner Bitte um Frieden der Missa ihren Schlusspunkt.
Doch sie erklingt nicht „in einem Ritt“, sondern zwischen ihre Sätze schieben sich – gleich liturgischen „Lesungen“ – Werke zeitgenössischer Tonsetzer, die eigens für das Vokalensemble geschrieben wurden. So entpuppt sich das „Einmal“ von Hans Schanderl als eine Weiterführung der kunstvollen Figuralmusik a la Palestrina, bei der sich melodische Linien eindrucksvoll verschränken. Weich getönt und dynamisch fein nuanciert erklingt diese musica nova. Wolfgangs Rihms dissonanzenreiche Vertonung „Tristis est anima mea“ (Meine Seele ist betrübt) wird von gleitenden, extreme Intervallbereiche ausschreitenden Tonfolgen bestimmt. Ähnlich klanggeschärft hört sich seine Motette „Ecce vidimus“ (Siehe, wir erblickten ihn) an. In ebenso „schräge“ Klänge gegossen ist der Schmerz seiner an diesem Abends uraufgeführten Novität „Caligaverunt occuli mei“ (Dunkel sind meine Augen). Zu überwältigend klangschönem und reinem Vortrag gelangt auch das verinnerlichte „Summa" von Arvo Pärt sowie das „Supplication for peace“ von Ivan Moody, ein origineller Stilmix aus russisch-orthodoxen Floskeln, italienischer Operndramatik und englischem Anthem. Mit Bravorufen wurde dem Ensemble und seiner hinreißenden Kunst gedankt. Peter Buske
Peter Buske
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