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Kultur: Glaube tut gut

Im Literaturladen Wist: Cicero-Chef Wolfram Weimer über die Rückkehr der Religion

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Religion ist im Kommen. Massen von Jugendlichen beim Papstbesuch, das Pilgerbuch von Hape Kerkeling „Ich bin dann mal weg“ auf Platz eins der Bestsellerlisten. Das Comeback der Religion kommt mit Wucht, so die zentrale These in Wolfram Weimers kurzem Traktat „Credo“ (DVA), überall auf der Welt, selbst in Deutschland. Der Autor bewies sie durch eine spontane Umfrage unter den Zuhörern des Literaturladens Wist.

Auf den Stationen seiner Lesereise durch die Republik interessiere ihn immer die Falsifikation seiner Thesen. Von den Gästen des Abends bei Wist meldeten sich vier, die „kirchenbewusst“ lebten, sechs, die zur Religion eine „Distanzsympathie“ mit brachten und nur drei zählten sich zu den Atheisten. Das entspräche ungefähr dem europäischen Durchschnitt mit 80 Prozent Gläubigen und 20 Prozent Atheisten. Ein Wandel hätte in den letzten 20 Jahren statt gefunden, den der Herausgeber der politischen Monatszeitschrift „Cicero“ durch Umfragen bestätigt findet. Damals war das Verhältnis zwischen Gläubigen und Ungläubigen noch ausgeglichen. Das „Pendel der Religiosität" sei auch hier wieder in der Aufwärtsbewegung, nachdem der „zweite dreißigjährige Krieg“ - gemeint ist die Phase zwischen 1914 und 1945 - gezeigt habe, dass der Atheismus der faschistischen und kommunistischen Diktaturen die Gesellschaft „uns so weit weg von Gott auch in die Hölle bringt“. Das Ende des Kalten Krieges hätte schließlich ein Sinnvakuum entstehen lassen, in das vielfach „religiöse Sehnsüchte“ einsickern konnten.

Weimer glänzte auf der gemeinsam vom Brandenburgischen Literaturbüro und dem Literaturladen durchgeführten Veranstaltung, indem er davon absah, aus seinem nur 78 Seiten dünnen Traktat vorzulesen. Stattdessen referierte seine Thesen fast eine Stunde in freier, klar strukturierter Rede. Der Verzicht dabei auf die provokanten Spitzen, die Weimer in seinem geschriebenen Text gegen Philosophie und „Relativismus“ des vergangenen Jahrhunderts setzte, erhöhte dabei deutlich die Überzeugungskraft seiner Überlegungen.

Weimer stellt sich bewusst gegen jene Mehrheit der Intellektuellen, die das weltweite Erstarken der Religionen grundsätzlich für eine Gefahr halten. „Die sehen das durch den Bombennebel des 11. Septembers“, so Weimer. Er erkennt sogar eine Chance gegen den Fundamentalismus, sofern Europa sich auf seine religiösen Wurzeln zurückbesinnt. Religion hat für Weimer etwas mit kultureller Identität und Haltung zu tun. Kultur und Religion stellen dieselben Fragen nach dem Sinn und der Identität des Menschen. „Warum heißt der eine Thomas oder die andere Maria?“, fragt Weimar, gerade in Ostdeutschland herrsche da vielfach „religiöses Analphabetentum“. Gerade die politische Seite der europäischen Religiosität interessierte Weimer, die „über 2000 Jahre gereifte, zivilisierte und institutionalisierte Form“ des Glaubens. Sein großes Versöhnungspotential, das er am Beispiel von Nelson Mandela beschrieb, könnte im gerade postulierten „Dialog der Kulturen“ nutzbar gemacht werden. Auch habe die religiöse Auffassung von der „Gottespräsenz“, die in jedem Einzelnen zu finden ist, den politischen Gedanken der Demokratie fördern helfen. Hinzu käme, dass viele ethische Grenzfragen nur mit Hilfe letztlich religiöser Argumente gelöst werden könnten. Ein Missverständnis, das im Titel „Credo“ begründet ist, konnte in der regen Diskussion auch ausgeräumt werden. Weimer hat nicht im Sinne der wörtlichen Übersetzung „ich glaube“ sein eigenes Glaubensbekenntnis verfasst, noch wollte er eine Apologie des Christentums schreiben. Als Journalist sei Wolfram Weimer „immer auf der Seite der Aufklärung“. Sich selbst zählt er auch nur zu den „bekennenden Distanzsympathisanten“.

Matthias Hassenpflug

Matthias Hassenpflug

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