Kultur: Glückhaftes Tongemälde
Potsdamer Singakademie führt „Die Schöpfung“ auf
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Potsdamer Singakademie führt „Die Schöpfung“ auf Lange bevor es den Film gab, gab es Filme. Sie liefen nicht vor, sondern in den Köpfen der Menschen ab. Die Vorlagen lieferten – damals wie heute – Literatur, Musik und Malerei. In Joseph Haydns Ausnahme-Oratorium „Die Schöpfung“ erzeugt die Musik großformatige Bilder voller Tiefenschärfe, die sich jedem Hörer tief einprägen. Wie es heißt, erlitt einst selbst der Komponist beim Zuhören einen Schwächeanfall, als die berühmte Stelle „Es wurde Licht“ gespielt wurde. Die Aufführung der „Schöpfung“ durch die Singakademie Potsdam im gut gefüllten Nikolaisaal wurde ein besonderer Erfolg dank des begeisterten Einsatzes aller Mitwirkenden. Dem Chor unter der souveränen Leitung von Edgar Hykel und den sehr gut aufgelegten Sängern Christine Wolff, Sopran, Razvan Sararu, Tenor, und Thomas Wittig, Bass, merkte man ihre Freude am Gesang und an diesem musikalischen Werk deutlich an. Selbst die erstmals im Nikolaisaal auftretenden Berliner Symphoniker zeigten zum Schluss angesichts des großen Beifalls zufriedene Gesichter. „Die Schöpfung“ schildert in den ersten beiden Teilen die Entstehungsgeschichte der Welt gemäß der biblischen Überlieferung, im dritten Teil folgt ein Lobgesang des ersten Menschenpaares auf die göttlichen Werke und auf die eheliche Liebe. Formal und inhaltlich steht das Oratorium zwischen geistlich-religiösen Werk und weltlicher Opernrepräsentation. Wohl zum letzten Mal in der Geistesgeschichte erscheint hier das Bild eines totalen Kosmos, in dem das Dasein jedes Lebewesens, sei es Blume, Vogel, Fisch oder Wurm seinen Sinn hat. Die kleinsten Gewächse der Natur sind in diesem Kosmos ebenso gut aufgehoben wie die großen Gedanken und Gefühle – für jedes Ding findet die Musik ausdrucksstarke Mittel. Aus heutiger Sicht geradezu erstaunlich wirkt der ungetrübte Optimismus des Werks, das Lob und Dank, Jubel und Preis in schönsten Tönen verbreitet. Keine aufklärerischen Zweifel, keine weltpolitischen Barbareien verschatten dieses glückhafte Tongemälde, das die Summe von Haydns musikalischen Erfahrungen enthält. Einzigartig doppeldeutig geht die Lebensordnung aus der musikalischen Ordnung hervor. Ausgehend vom atonalen Beginn bei der Schilderung des Weltenchaos bis zur ausgeklügelten Ordnung der vierstimmigen Fuge im finalen Dankeschor werden die wegweisenden Formen der klassischen Musik durchlaufen. Zu den Höhepunkten gehören sowohl die einprägsamen, tonmalerischen Repräsentationen von Naturphänomenen aller Art wie auch die wunderschönen Arien und Chöre. Der junge Tenor Razvan Sararu überzeugt als Uriel und verleiht dem „König der Natur“, womit der Mensch gemeint ist, mit lyrisch-dramatischem Gesang sehr angenehme Züge. Bassist Thomas Wittig als Raphael und als Adam scheint für diese Partie prädestiniert zu sein. Mit sichtlichem Spaß folgt er gesanglich den Walfischen in die Tiefe des Meeres respektive der Stimme und singt ebenso liedhaft wie nachdrücklich und ausdrucksvoll. Im Duett mit Christine Wolff ergänzen sich beider Stimmen vorteilhaft. Die Potsdamer Sopranistin zeigt sich bestens aufgelegt und weiß mit hell-beweglicher Stimme in reich verzierten Gesangspartien zu erfreuen, die von ihrer reizenden Erscheinung apart ergänzt werden. Dass auch der Chor eifrig geübt hatte, merkte man den wohlgestalteten Chorälen an, etwa bei „Der Herr ist groß“ und der Schlussfuge – trotz der großen Zahl von Sängern, so dass eine großartige Aufführung eines wunderbaren Werks glückte. Babette Kaiserkern
Babette Kaiserkern
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