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Kultur: Gnadenloses Mittelmaß

Die Jubiläumsnacht der RBB-Reihe „The Voice“ im Nikolaisaal

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Das Prinzip ist einfach und offenbar nicht tot zu kriegen. Seit zehn Jahren, jeden Tag um 19.30 Uhr, sendet das RBB-Kulturradio eine halbe Stunde lang eine herausragende Singstimme. Von der Callas bis zu Björk. Die Sendung heißt The Voice, seit vier Jahren wird jeden Monat ein Konzert im Nikolaisaal aufgezeichnet. Vieles sei in der Zeit im Rundfunk verschwunden, erzählte einer der Moderatoren der Sendung zum Jubiläumskonzert im Nikolaisaal, nur The Voice nicht. Nach dem Marathon von sechs einstündigen Konzerten in dieser Nacht fragte man sich jedoch, ob der vermeintliche Erfolg nicht einfach durch gnadenloses Mittelmaß erreicht wurde, das den Mainstream bedient.

Den Anfang machte Geraldine MacGowan mit traditionellen irischen Liedern. Freilich nicht in Gälisch, sondern in Englisch. Übersetzte man MacGowans Geschichten über Liebe und Sehnsucht ins Deutsche, käme ein Pilcher-Film zustande. Bilder von grünen Weiden und Kühen drangen vor das geistige Auge, hörte man den süßlichen Kitsch lang genug. Geraldine MacGowans Stimme mied tunlichst jene Ziselierungen, die der irischen Musik die eigene Note verleihen. Hätte sich nicht Brian O“Connor mittels einer irischen Metallflöte in Hochgeschwindigkeitsrausch gespielt, wäre einem die Kraft, den Abend wach zu überstehen, bereits zu Anfang abhanden gekommen.

Am besten gelungen, so hörte man immer wieder, schien Yelena Ks Auftritt im Studiosaal gewesen zu sein. Sie tourte bereits erfolgreich durch Ex-Jugoslawien. Der Sinn, zwei Interpreten des Abends parallel spielen zu lassen, die anderen vier aber doch hintereinander im Foyer abzuwickeln, erschloss sich nicht. Rudi Neuwirth besaß an diesem Tag das Privileg, als einziger im großen Saal zu singen.

Neuwirth macht mit der Stimme Musikinstrumente nach, nimmt sie nacheinander auf und spielt sie mit einem Sampler zusammen ab. Er trat bislang auf Kleinkunstbühnen auf, auch auf der Reeperbahn. Der Vokalakrobat macht den Eindruck eines Kaufhausverkäufers der Musik. Er steht an seinem Pult mit der Aufnahmeapparatur, als ob er eine innovative elektrische Küchenhilfe anpreist. Der Vorführeffekt, also das Staunen über die sich übereinander legenden Geräuschschichten – Tatatong, Pfffft, Schusch – weicht nach kurzer Zeit dem Wunsch, einfach mal einen guten Song zu hören. Die Instant-Konserve klingt immer gleich schmusig. Nur die Trompete tönt verblüffend echt. Zu wenig, um alle Zuhörer zu halten. Und die, die den peinigend langen Weg zur Tür gehen, bekommen von Neuwirth noch Sticheleien zu hören.

Den nominellen Höhepunkt stellte Malene Mortensen dar. Sie, hieß es, sei ein Popstar. Zumindest in Dänemark. Mortensen brachte vieles mit: Eine Jazz-Combo, ihr bezauberndes Aussehen und viel Neigung für den Jazz. Trotzdem klangen ihre Kompositionen hölzern, kalt und unmelodisch. Rhythmisch war der Vortrag präzis, doch schien Mortensens Begleitung ein völlig anderes Stück zu spielen. Alles klang wie eine Popband, die unbedingt Jazz spielen wollte. Und die Stimme von Mortensen hat die Geschmeidigkeit eines Eiszapfens, der sich langsam in die Herzgegend hinein bohrt.

Die Geduld der Freunde von The Voice wurde beträchtlich geprüft. Ute Kannenberg aus Berlin bewies mit dem Andreas Schmidt Trio zumindest, dass Nordeuropäer doch Gefühl besitzen. Dass sie Rudi Neuwirth zum improvisierten Jubiläumsständchen auf die Bühne holte, werden allerdings nur die Wenigsten verkraftet haben. Marc Secara muss rein rechnerisch um halb Zwei aufgetreten sein. Zehn Jahre sind eine lange Zeit für eine Sendung. Wer die Jubiläumsnacht durchstand, konnte das ermessen. Matthias Hassenpflug

Matthias Hassenpflug

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