Kultur: Gobalisierungsopfer mit G-Punkt
Fünfte Comedy-Scheune mit Hans-Hermann Thielke und Martina Brandl im Krongut
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Die Comedy-Scheune, so kann man nach dem fünften Durchgang sagen, wird gut angenommen. Genauso wie die Gutsherrenplatte, jener geschichtete Fleischberg aus Sülze, Leber- und Blutwurst, Salami, Schinken und Landjäger, durch den sich jeder Gast zuvor durchfuttern muss, um den Blick auf die Bühne auf dem Malzboden frei zu bekommen. Dort steht zunächst der Moderator und Comedian Thomas Nikolai. Er ist für das Programm verantwortlich und deswegen so unvermeidbar wie der Cholesterinanschlag auf den Tellern. Bewährt ist mittlerweile auch Nikolais Eröffnungsnummer, eine Parodie auf die Kinowerbung: Sein „Reifen Paul aus Wilmersdorf“, eine Persiflage auf die oftmals bitter laienhaft gesprochenen Regionalspots, bringt die ersten hysterischen Lacher.
Kratziger, männlicher und verrauchter kann eine Stimme nicht sprechen, wie Nikolai die bekannte Zigarettenwerbung mit Cowboy-Romantik verulkt. Nur hat der Komiker zwischenzeitlich auch den Oscar-Preisträger „Brokeback Mountain“ gesehen. So bekommt das Lagerfeueridyll den gewissen Touch.
Nikolais erster Gast heißt Hans-Hermann Thielke. Er spielt die Rolle des Postbeamten aus dem „mittleren nichttechnischen Postdienst“. Pomade im Haar, Pullunder, Kassengestell. Thielke gibt den Schalterbeamten, der den Neuerungen in der Post AG völlig überfordert gegenüber steht. Ein gegenüber den globalen Veränderungen auf dem Kommunikationssektor hilflos stammelndes Auslaufmodell. Ein Globalisierungsopfer. Was ist ein Fax? „Ein Telefon mit Papier, da können Sie bis zu 30 Meter lange Briefe schreiben“. Einen Vollspießer dem Gespött der Menge zu übergeben ist nicht unbedingt neu. Thielkes Figur setzt auch auf die bewährte Kreuzung von Komik und Mitleid, brilliert aber darin, die Spannung der Rolle bis in die kleinsten Nuancen aufrecht zu halten. Wie er davon berichtet, die Post plane als neue Dienstleistung eine eigenständige Pflegeversicherung. „Wozu extra eine Pflegeschwester einreisen lassen, der Zusteller kommt ja sowieso jeden Tag ins Haus?“ Grotesk, weil die Wirklichkeit nicht völlig außer Sichtweite ist.
Martina Brandls erster Auftritt vor der Pause drohte im Vergleich zu Nikolai und Thielke eher statisch zu werden. Sie las eine Erzählung aus ihrem Büchlein „Was von Brandl übrig blieb“. Die Lacher blieben zunächst verhaltener und vereinzelter, was nicht daran lag, wie Thomas Nikolai vermutete, dass „die Potsdamer mit dem Medium nicht vertraut seien“. Lesen ist eben keine Stand-up-Comedy. Dennoch amüsierten sich gerade jene, die Brandl in Geschlecht und Alter nahe waren über die unverhoffte Begegnung mit dem Traummann in Moabit, den Döner in der Hand. Sieben Jahre ohne guten Sex und unrasierte Beine wollen wohl abgewogen sein gegenüber Knoblauchdüften und der Aussicht, auf dem Sofa „Golden Girls“ zu schauen. Viel Zustimmung mit vereinzeltem Kopfnicken brachten Brandls zum Teil gesungenen Betrachtungen über spontanen Sex. Die Suche nach dem G-Punkt empfände sie so, als ob an einem Ikea-Regal herumgeschraubt würde – natürlich komplett ohne Bedienungsanleitung. Bei Berlinern, wusste die Komikerin, hieße die mystische Stelle „J-Punkt“, für „jenug jesucht“.
Im zweiten Durchlauf nach der Pause steigerte Brandl ihren Biss, indem sie in hohem Tempo ihr Stimmvolumen zwischen Verona Feldbusch und MTV-Göre variierte und dabei eine sehr authentische Angela Merkel anklingen ließ. Diese Frau kann singen! Annett Luisans Fistelstimme, bekannt aus dem Schmachtstückchen „Ich will doch nur spielen“, wird sozusagen die frivole Rüschenhose herunter gezogen. Brandls genial vorgetragenes „Ich will doch nur spülen“ bringt den Malzboden dann gekonnt dort hin, wo sich der deutsche Humor vorzugsweise aufzuhalten beliebt: bei Störungen an jenem Ort, über den hier nichts geschrieben stehen soll. Matthias Hassenpflug
Matthias Hassenpflug
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