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Kultur: „Goldene“ 20er

Benefiz von Jan-Dirk Lafrenz und Christoph Erle

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Wenn eine altgediente Kultureinrichtung in ihrer Existenz bedroht ist, wird meist reflexartig reagiert. Empörung, gefolgt von Aufschrei und Aufruf. Beim Theaterschiff funktionieren diese Reflexe genauso wie seinerzeit beim Treffpunkt Freizeit. Eine „Benefizveranstaltung“, oft einhergehend mit Unterschriftenaktionen, führt im Publikum zu so etwas, das man endogene Zwangssolidarisierung nennen könnte. Kultur, die am Abgrund steht, erzeugt geheimnisvoller Weise stärkere Zuneigung als vorher in den Jahren des normalen Spielbetriebs.

So ist denn auch das Publikum beim Benefiz-Auftritt der beiden musizierenden Ärzte des Ernst von Bergmann Klinikums, Dr. Jan-Dirk Lafrenz und Dr. Christoph Erle, lokal betäubt. Was darf man denn messen, das Können oder das generöse Wollen? Darin liegt die Unterscheidung zwischen ernsthafter Kulturbühne und Soziokultur, die sich um das Stadtteilleben verdient macht.

Lafrenz und Erle tragen deutsche Schlager aus den „goldenen“ Zwanzigern und Dreißigern vor. Der eine im schwarzen Anzug am Klavier, der andere mit Frack, Handschuhen und Zylinder. Zumindest optisch macht das was her. Was war eigentlich so toll an dieser Zeit? Die Arbeitslosigkeit, die verheerenden Nachwirkungen des ersten Weltkriegs, der aufkeimende Nationalsozialismus vielleicht? Oder die Schlager, aus denen ein aus heutiger Sicht atemberaubender naiver Sexismus spricht? Erträglich wäre das Geschmachte um die „süßen Füße“ der Helene, deren Wade man im Bade gesehen hat, oder um „Ruth, die so gut tut“, allenfalls, wenn durch künstlerisches Geschick ein schützendes ironisches Polster aufgebaut werden könnte, wie es z. B. Max Raabe vollendet vorführt. Erles Singstimme klingt jedoch nicht nach den alten Schelllackplatten, deren Originale die beiden Musiker nacheifern, sondern eher nach einem verbeulten Grammophon, in dessen Schalltrichter ein jaulendes Kätzchen stecken geblieben ist. Die Höhe ist definitiv nicht der Bereich, in dem sie sich länger aufhalten dürfte. Lafrenz, der solide, teilweise verspielt jazzig am Piano begleitet, zeigt in den wenigen Duettpassagen, dass er solo vielleicht sogar besser fahren würde.

Das Wirkprinzip der harmlosen Lieder ist leicht durchschaut. Sie sind um den herztriefenden Schmachtlaut „Ü“ herumgeschrieben, diesen langgezogenen, klebrig-sülzigen, mit gespitztem Mund vorgetragenen Umlaut, der in Schlüsselbegriffen der Zeit wie Glück, hübsch, küssen, amüsieren oder sogar – mit Anstrengung – in „Parüs“ vorkommt. Frauen sind stets „süß“ und der Liebling wird herzlichst „gegrüßt“. Die schauspielerische Umrahmung des Liedgutes beschränkt sich auf wenige affektiert wirkende Gesten und Requisiten, die man wohl mit dem „Goldenen Zeitalter“ in Verbindung sieht. Der beim Singen kokett in die Hüfte gestemmte Arm, der lässig gedrehte Gehstock mit dem silbernen Handstück.

Musikalisch erklimmen die beiden Ärzte höchstens Probebühnenhöhe, immerhin sei ihnen aber wegen der anerkennenswerten archivarischen Bemühungen ein Ausflug außerhalb von Betriebsfeiern gestattet. Wenn auch die Gesellschaft, die geschlossen der Aufführung folgte, stark den Eindruck einer ins Theaterschiff verlagerten Weihnachtsfeier des nahen Klinikums aufdrängte. Gestattet sei zudem die Frage, wo die beiden Vortragenden künstlerisch ständen, wenn sie auf die Nennung ihrer Doktortitel im Programm verzichten würden. Die stärkste Szene des Abends war eine Anspielung auf den ausgeübten Heilberuf. Als Dank bewarfen Lafrenz und Erle ihr Publikum mit ungezielten, aber doch gewichtigen Schokokugeln und Nikoläusen. Bei möglichen schmerzhaften Treffern, so Erle, befänden sich ja genug Ärzte im Raum.

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